Allmen und die Dahlien (German Edition)
und schob ihn sanft in Richtung Bar.
Tenz? Der Name kam Allmen bekannt vor.
12
Dort, wo Carlos herkam, war Sex eine diskrete Angelegenheit. Die Familien schliefen in einem Zimmer, oft sogar im selben Bett. Da musste man schauen, wie man diesen Teil des Familienlebens so unbemerkt wie möglich abwickelte.
María Moreno stammte zwar nicht aus Guatemala, sondern aus Kolumbien, aber aus ähnlichen Verhältnissen: kinderreiche Familie, winziges Haus. Als Carlos sie nach einem besonders lauten Schäferstündchen einmal gefragt hatte, wie es komme, dass sie einen so freien Umgang mit diesen Dingen habe, wo sie doch auch so aufgewachsen sei wie er, hatte sie geantwortet: »Por eso« . Sie habe gelitten unter dieser Verklemmtheit und sei nicht nach Europa gekommen, um genau gleich weiterzuleben.
Sie machte sich lustig über seine Verschämtheit und seine Panik davor, dass Don John etwas hören könnte.
»Don John, Don John. Glaubst du, der denkt, wir vögeln nicht?«
María hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Carlos zu einem etwas unbefangeneren Intimleben umzuerziehen, und intensivierte ihre Anstrengungen an Tagen wie diesen, wo Don John außer Haus war.
Soeben hatte sie sich neben dem Bett aufreizend langsam ausgezogen und blickte Carlos herausfordernd an, der dabei war, sich, bis zum Hals zugedeckt, seiner Unterhose zu entledigen.
»¡Venga!«, sagte er.
Sie schüttelte den Kopf.
»¡Venga!«, sagte Carlos noch einmal.
Sie lachte nur.
Endlich schlug Carlos die Bettdecke zurück und stand auf. Im gleichen Moment klingelte im unteren Stock das Telefon.
Noch ehe er seine Boxershorts wieder anhatte, war María die Treppe hinuntergerannt und beim Telefon. Splitternackt stand sie im Vestibül, hob den Hörer ab und sagte: »Allmen International Emergencies«, wie immer bei Anrufen nach zwanzig Uhr.
» Sí, Señor John«, sagte sie unbefangen. »Er ist hier, Moment.«
Carlos nahm die letzten Stufen der Holztreppe, ergriff den Hörer, zog das Spiralkabel so weit in die Länge, dass er den Schalter erreichen konnte, machte das Licht aus und sagte: » Muy buenas noches, Don John.«
13
Nach dem Abtransport des toten Dauergastes hatte sich der Nachtportier wieder hinter dem Empfangstresen verschanzt. Dort saß er mit dem Rücken zur Empfangshalle und blätterte in einer Zeitschrift. Allmen musste zweimal laut und vernehmlich seine Zimmernummer nennen, bis der Mann ihn bemerkte und den Schlüssel brachte.
»War der Verstorbene ein Freund von Madame Gutbauer?«
Der Nachtportier hielt sich an die Regeln des Hauses, die offenbar vorschrieben, dass man von einer Madame Gutbauer nichts wusste. »Madame Gutbauer?«
Allmen insistierte nicht. »Es gibt schlimmere Arten zu sterben als diese«, sagte er stattdessen.
»Für Herrn Frey war jede Art zu sterben schlimm. Herr Frey wollte nicht sterben. Das hat er mir immer wieder gesagt.«
»Kannten Sie ihn gut?«
»In acht Jahren lernt man sich schon ein wenig kennen. Er hatte ja niemanden.«
»Doch, seinen Großneffen.«
»Ach der. Der ist erst kürzlich aufgetaucht.«
»Ich dachte, er hätte bis vor kurzem im Hotel gewohnt.«
»Nur ein paar Tage. Und davor kam er ab und zu zu Besuch. Aber all die Jahre zuvor hatte Herr Frey nie Besuch. Und ist auch nie ausgegangen. Dabei war er sein Leben lang auf Reisen. Aus der ganzen Welt hat er mir Geschichten erzählt. Wissen Sie, Neunzigjährige und Nachtportiers haben etwas gemeinsam: schlaflose Nächte.«
Zurück im Zimmer, rief Allmen zu Hause an. María Moreno hob ab und verband ihn mit Carlos. Dieser klang anders als sonst, verlegen oder nervös. »Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Allmen.
»Todo bien«, versicherte ihm Carlos.
» Fíjese, stellen Sie sich vor, während des Nachtessens ist ein alter Mann gestorben. Nur ein paar Tische weiter.«
»Lo siento«, antwortete Carlos. »Nicht sehr angenehm, beim Essen.«
»Ich hatte schon gegessen.«
»Trotzdem.«
»Man hat es nicht gemerkt. Er hat gegessen, und plötzlich war er tot. Sehr diskret. Ein Dauergast.«
Eine Schweigeminute für den alten Herrn.
»Seltsam war: Madame Gutbauer erwies ihm die letzte Ehre.« Allmen erzählte von ihrem eigenartigen Auftritt.
»Und noch etwas ist bemerkenswert. Einer der acht zwischen dem vierten und dem siebten April abgereisten Gäste ist sein Großneffe. Claude Tenz. Am vierten angekommen, am fünften abgereist.«
»Interesante.« Carlos klang immer noch seltsam.
»Außer Tenz sind noch zwei weitere Gäste nach dem vierten
Weitere Kostenlose Bücher