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Allmen und die verschwundene María

Allmen und die verschwundene María

Titel: Allmen und die verschwundene María Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Und würde es auch nicht mehr werden, solange María sich in der Gewalt dieser Männer befand.
    Auch die gewohnte Gesprächshierarchie war aus den Fugen: Carlos wartete nicht, bis Allmen ihm die nächste Frage gestellt hatte, sondern stellte selbst die, von deren Antwort alles abhing: »Was ist mit den Dahlien?«
    »Frau Talfeld hat mir versprochen, mit Madame Gutbauer zu sprechen.« Er versuchte, den Satz wie eine gute Nachricht klingen zu lassen. Aber es gelang ihm nicht.
    »Aber sie glaubt nicht, dass sie das Bild herausrücken wird«, ergänzte Carlos.
    »Nun, ehrlich gesagt: Sie ist ein wenig… ähm… skeptisch.«
    Carlos nickte wie zur Bestätigung von etwas, das er schon immer gewusst hatte.
    »Aber sie wird mit ihr sprechen. Das hat sie fest zugesagt.« Auch hier misslang es Allmen, diesen Umstand vielversprechend klingen zu lassen.
    Carlos schüttelte den Kopf. »Sie hat gerade drei Millionen dreihundertzweiundsechzigtausend für das Bild bezahlt. Weshalb sollte sie es wieder hergeben?« Und bitter fügte er hinzu: »Für das Leben einer Illegalen.«
    [45]  Die paar Regentropfen, die sie auf dem Gartenweg begleitet hatten, waren zu einem ausgewachsenen Aprilregen geworden, der so laut auf das Glasdach trommelte, dass sie die Stimmen erheben mussten.
    »Nicht hergeben , Carlos«, sagte Allmen, » ausleihen . Wir geben ihr das Bild selbstverständlich wieder zurück.«
    »Ich verstehe nicht, Don John…«
    Die Idee war nicht durchdacht, aber Allmen sprach sie angesichts der Hoffnungslosigkeit der Lage trotzdem aus: »Allmen International Inquiries hat das Bild schon einmal wiederbeschafft. Weshalb nicht ein zweites Mal?«
    Jetzt lächelte Carlos ein kleines bisschen. » Con todo el respeto, Don John, bei allem Respekt…« Er sprach den Satz nicht zu Ende, aber Allmen verstand, dass er ihn für verrückt hielt.
    »Und wenn es nicht gelingt, Don John?«
    »Wenn es nicht gelingt, das Bild nach Marías Befreiung wiederzubeschaffen, Carlos, haben wir es mit einem Misserfolg der Firma zu tun. Sie wird es überleben.«
    Carlos griff nach dem Strohhalm. »Aber weiß Frau Talfeld, dass wir uns das Bild nur leihen wollen?«
    Allmen nahm sein Handy aus der Brusttasche [46]  und rief Cheryl Talfelds Nummer ab. Sie meldete sich sofort.
    Carlos hörte ihn sagen: »Die Situation hat sich geändert. Wir haben jetzt einen Übergabetermin. In weniger als vierzehn Stunden.«
    Und: »Haben Sie schon mit Madame Gutbauer gesprochen?«
    Und: »Gut. Dann sagen Sie ihr, wir brauchen das Bild nur leihweise.«
    Und: »Spätestens eine Woche nach Freilassung unserer Mitarbeiterin.«
    Und: »Das lassen Sie die Sorge von Allmen International Inquiries sein. Wiederbeschaffung von Kunst ist unser Metier. It’s what we do .«
    Als Allmen aufgelegt hatte, wollte Carlos wissen: »Wann wird sie mit ihr sprechen?«
    »Gleich morgen früh, sagt sie.«
    Carlos dachte nach. »Don John«, sagte er schließlich.
    » Sí, Carlos.«
    »Una sugerencia, nada más…«
    9
    Der Tod der beiden Menschen, die ihrem Leben eine letzte glückliche Wendung hätten geben sollen, [47]  hatte Teresa Cutress schwer mitgenommen. Sie hatte seit der Nachricht von Claude Tenz’ Ermordung ihre Suite nicht mehr verlassen, und die Mitarbeiter des Room Service, die ihr in kürzeren Abständen als sonst die Caipirinhas brachten, sahen manchmal Tränen über ihre gelifteten Wangen laufen.
    Für ihre Rolle beim Diebstahl und Verkauf der Dahlien an Tino Rebler hatte sie sich eine Gewinnbeteiligung von zwanzig Prozent ausgehandelt. Der plötzliche Tod von Hardy Frey, der ebenfalls mit zwanzig Prozent beteiligt war, hatte zu einer Verzögerung der Auszahlung dieser hundertzwanzigtausend Franken geführt. Claude Tenz hatte ihr den Grund genannt, aber sie hatte ihn nicht genau verstanden. Vor einer Woche hatte er sie dann mit der Nachricht überrascht, dass Dalia Gutbauer das Bild zurückkaufen wolle und er sie an diesem Gewinn ebenfalls beteiligen werde. Dreihunderttausend insgesamt. Zahlbar am Tag nach der Bildübergabe.
    Dreihunderttausend hätten gereicht für einen Lebensabend ohne Dalia Gutbauer. Nicht hier, aber in Paraguay. Dort hatte sie mit ihrem unsteten zweiten Mann, Joe Cutress, zwei Jahre verbracht. Er hatte in eine Rinderfarm investiert und war, wie meistens, über den Tisch gezogen worden. Das Leben im Gin-Tonic-Viertel von Asunción hatte sie in sehr guter Erinnerung behalten, und mit zwei [48]  alten amerikanischen Freundinnen aus jener Zeit tauschte sie

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