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Allmen und die verschwundene María

Allmen und die verschwundene María

Titel: Allmen und die verschwundene María Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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noch zu jedem Jahreswechsel seasons greetings aus. Für fünfzigtausend hätte sie im Villa-Morra-Quartier ein hübsches Häuschen kaufen können und mit dem Rest bis ans Ende ihrer Tage ein angenehmes, von Personal umsorgtes Leben führen können.
    Aber zwei Wochen nach dem plötzlichen natürlichen Tod seines Onkels hatte Claude Tenz seinen eigenen plötzlichen unnatürlichen erlitten. Noch ehe er ihr ihren Anteil hatte auszahlen können. Der Leichnam habe Folterspuren aufgewiesen, stand in der Zeitung. Sie hätte gerne gewusst, welcher Art.
    Damit war sie der Gnade der bösen alten Frau ausgeliefert, die von dort oben, der vierten Etage ihres Hotels aus, ihr Imperium leitete und unnachsichtig Rache an der Welt und dem Leben übte.
    Teresa Cutress klaubte eine Kent aus der Packung, die neben dem vollen Aschenbecher lag, und gab sich Feuer mit dem goldenen Dunhill-Feuerzeug. Es trug die Initialen ihres zweiten Mannes, J. C ., und war sein einziges Vermächtnis an sie. Ein unfreiwilliges zudem; sie hatte es mitgehen lassen, als sie in das schäbige Appartement gerufen wurde, wo ihn sein einsamer Herztod ereilt hatte, keine drei Wochen, nachdem er aus ihrer gemeinsamen Wohnung ausgezogen war.
    [49]  Sie ließ das Feuerzeug mit dem eleganten Geräusch zuschnappen, das sie an Cocktails, Dinner Jackets und aufmerksame Begleiter erinnerte, und nahm einen tiefen Zug. Dann drückte sie auf die Room-Service-Taste der veralteten Telefonanlage.
    Zehn Minuten später klopfte es, und ein Kellner betrat das Zimmer mit einem Tablett. Er räumte routiniert das leere Glas, die Mandelschalen und den vollen Aschenbecher ab, wischte mit einem Lappen über das Beistelltischchen neben ihrem Sessel, stellte einen frischen Caipirinha, eine Schale Mandeln und einen Aschenbecher darauf und legte ein paar Umschläge daneben. »Ihre Post lag noch in Ihrem Fach, Mrs.   Cutress«, sagte er.
    »Danke, Igor«, antwortete sie und sah ihm hinterher, als er aus der Tür verschwand.
    Sofort nahm sie einen Schluck. Der Caipa war trocken, wie sie ihn mochte, mit wenig Zucker und ganz ohne Lime-Sirup. Dafür mit viel Limetten und Crushed Ice.
    Sie stellte das Glas ab und nahm sich die Post vor. Die Mainummer von House and Garden , der Werbebrief einer Parfümerie, ein dicker, brauner Polsterumschlag und ein weißer Umschlag mit ihrem Namen und der Anschrift »im Hause«.
    Sie hatte sich genug von ihrer Kindlichkeit bewahrt, um zuerst das größte Päckchen zu öffnen – [50]  den Polsterumschlag. Er war in einer schluderigen Handschrift adressiert und mit Notizen und Stempeln und Klebern versehen. Er war als Brief frankiert, aber als Paket taxiert worden und daher unterfrankiert gewesen. Das Hotel hatte ein paar Franken Strafporto und Gebühren bezahlen müssen.
    Teresa riss den Umschlag auf und fasste hinein. Zuerst bekam sie ein Blatt zu fassen. Es war einmal gefaltet, und darauf stand in der gleichen fahrigen Handschrift:
    Liebe Teresa,
    wenn Du das liest, ist unsere Post tatsächlich so zuverlässig, wie ich inständig hoffe. Ich wünsche Dir ab sofort das Leben, das Du Dir wünschst.
    In grofler Eile
    Claude
    Sie steckte ihre Hand ein zweites Mal in den Umschlag und stieß auf so etwas wie einen dicken Papierblock. Sie hatte Mühe, es herauszunehmen, seine Ecken verfingen sich in den Blasen der Folie, mit der der Umschlag gefüttert war.
    Ungeduldig zerrte sie das sperrige Etwas heraus und sah, dass es ein mit einem Gummiband fest zusammengebundenes Bündel Banknoten war. Tausender.
    [51]  Teresa Cutress erhob sich aus ihrem Sessel und hängte das Schild »Bitte nicht stören« außen an die Tür. Sie setzte sich wieder, nahm einen Schluck und einen Zug, entfernte das Gummiband von dem Bündel und zählte.
    Sie kam bei jedem Zählen auf ein anderes Resultat, so aufgeregt war sie. Beim dritten Mal gab sie sich damit zufrieden, dass es sich um rund dreihundert Tausender handelte.
    Was für ein Gentleman! Er hatte sein Versprechen gehalten und ihr ihren Anteil geschickt. Zwar etwas fahrlässig, nicht einmal eingeschrieben, aber er hatte das Geld geschickt.
    Sie setzte ihre Brille auf, die sie nur trug, wenn sie allein war, und prüfte den Poststempel. Er trug das Datum »24.   April«, der Tag, an dem Claude Tenz tot aufgefunden worden war. Die Sendung hatte drei Tage gebraucht. Wohl wegen der ungenügenden Frankierung.
    Sie nahm mit zitternder Hand das Glas, hob es und murmelte: »Auf dich, Claude.« Und trank es in einem Zug leer.
    Dann ging

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