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Allmen und die verschwundene María

Allmen und die verschwundene María

Titel: Allmen und die verschwundene María Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Blick. »Nein, nein«, korrigierte Allmen den Portier, »Herr Klettmann wollte uns in die vierte Etage begleiten. Er hat uns soeben bei Madame Gutbauer angemeldet.«
    »Ach«, sagte der Nachtportier erstaunt. »Er ist wirklich schon gegangen.«
    »Dann darf ich Sie bitten. Wir möchten Madame Gutbauer ungern warten lassen.«
    [56]  Der Portier griff zum Telefon.
    »Wie gesagt, er hat uns vor…«, Allmen sah Carlos fragend an.
    »Drei Minuten, Don John, höchstens vier.«
    »Vor zwei, drei Minuten angemeldet. Das sähe ein bisschen komisch aus, wenn Sie uns schon wieder anmelden würden. Aber bitte…«
    Der Nachtportier legte auf, verschwand im Büro und kam gleich darauf mit einem Schlüssel wieder. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
    Im Aufzug steckte er den Schlüssel in das Schloss über dem Knopf mit der Beschriftung »3. Etage«. Der alte Lift setzte sich ruckelnd in Bewegung.
    In der vierten Etage stoppte er abrupt. Der Nachtportier schloss die Lifttür auf und überließ ihnen den Vortritt in die Empfangshalle.
    Monsieur Louis näherte sich, der Butler von Dalia Gutbauer.
    »Vielen Dank«, sagte Allmen zum Portier und steckte ihm einen Zwanziger zu. Er bedankte sich und ging zurück in den Aufzug.
    »Herr von Allmen? Darf ich fragen…?«
    Allmen stellte Carlos vor: »Herr de Leon, mein persönlicher Assistent.«
    Hinter ihnen ging die Lifttür zu.
    »Was kann ich für Sie tun?«, erkundigte sich Monsieur Louis jetzt sehr irritiert.
    [57]  »Wir müssen Madame sprechen.«
    »Haben Sie einen Termin?«
    »Die Herren haben selbstverständlich keinen Termin um diese Zeit.«
    Es war die Stimme von Cheryl Talfeld, die aus dem Korridor gekommen war. Die beiden senkrechten Falten über der Nasenwurzel, die am Anfang ihres Treffens in der Goldenbar fast verschwunden gewesen waren, hatten sich jetzt tief eingekerbt. Sie ging an Allmen und Carlos vorbei zum Lift, drückte auf den Knopf und wartete.
    Allmen ging auf sie zu. »Ist Madame Gutbauer darüber informiert, dass wir uns das Bild nur borgen wollen?«
    »Ich habe Madame nicht mit dem Thema belastet. Es geht ihr nicht gut.«
    »Was hat sie denn?«, erkundigte sich Allmen.
    »Fieber und Husten.«
    »Tut mir leid. Aber Señorita Moreno geht es auch nicht gut«, gab Allmen zurück.
    Der Lift kam, Cheryl Talfeld öffnete die Tür.
    Allmen und Carlos machten keine Anstalten, den Lift zu betreten.
    »Monsieur Louis, bitte!«
    Der Butler, der das Geschehen unentschlossen verfolgt hatte, ging nun einen Schritt auf Allmen zu. »Monsieur d’Allmen, s’il vous plaît.«
    [58]  Allmen ignorierte ihn. Cheryl zückte ihr Handy und wählte eine Nummer. Sie wandte sich ab, murmelte etwas, beendete das kurze Gespräch und drehte sich wieder Allmen und Carlos zu. »Wenn Sie jetzt gehen, können Sie vielleicht noch die Begegnung mit unserem Sicherheitsdienst vermeiden.«
    Noch ehe Allmen reagieren konnte, sank Carlos auf die Knie. Er bekreuzigte sich und rief mit einer für einen so kleinen Mann beängstigend lauten Stimme seinen wunderlichen Heiligen an:
    »¡Poderoso Maximón!
    Hier knie ich, demütige Kreatur, vor Dir nieder und flehe Dich an, mich zu beschützen in der Gefahr, die mir droht. Bewahre María Moreno, die ich liebe, und lasse es nicht zu, dass die Bösen mehr Macht haben als Du. Bruder Simón, ich rufe Dich an, weil ich weiß, dass Du da bist in den Bergen und Tälern, in den Steppen und Wäldern, in den Städten und Feldern, in den Dörfern und Hütten. Ich danke Dir, dass Du meine Gaben annahmst, und bitte Dich um Deinen Segen.«
    Allmen starrte vor sich auf den Teppich und suchte verzweifelt nach einer Öffnung, in die er hätte versinken können.
    Da durchdrang, während Carlos sich schwungvoll bekreuzigte, nicht viel weniger laut die Stimme [59]  von Dalia Gutbauer die Stille: »Was ist denn hier los?«
    Sie stand, auf ihr Gehgestell gestützt, dort, wo der Korridor in die Eingangshalle mündete. Ihr dichtes weißes Haar lag am Kopf wie eine Strickmütze. Sie trug einen seidenen Kimono, dessen Saum durch ihre gebückte Haltung vorne beinahe den Boden berührte. Ihre Pflegerin stand hinter ihr.
    Cheryl Talfeld war die Erste, die sich fasste. »Die Herren sind im Begriff zu gehen«, sagte sie und ging auf die alte Frau zu.
    Aber Carlos hob wieder an zu beten. Noch lauter als zuvor:
    »Gracias MAXIMÓN por tu ayuda, gracias por concederme lo que tanto desea mi corazón. Oh Hermano Maximón, te pido por tu nombre: que mis ofensas a vos y a la vida queden

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