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Allmen und die verschwundene María

Allmen und die verschwundene María

Titel: Allmen und die verschwundene María Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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sie zu ihrem Schreibtisch, fand ihr in Schlangenhautimitat gebundenes Adressbüchlein, hob den Telefonhörer ab und drückte auf den Knopf, auf dem »Operator« stand.
    Das Schlosshotel verfügte schon lange nicht [52]  mehr über einen »Operator«. Die meisten Gäste benutzten zum Telefonieren ihre Handys, und für die paar, die sich noch verbinden ließen, fungierte das Büro als Operator oder nachts der Nachtportier.
    »Wie viel Uhr ist es in Paraguay?«, fragte Teresa Cutress, als sich eine Frauenstimme meldete.
    Die Frau musste zurückrufen und informierte Teresa, dass es in Paraguay jetzt kurz nach drei Uhr nachmittags sei.
    Mrs.   Cutress diktierte ihr eine Nummer aus ihrem Adressbüchlein und wartete.
    Nach einem langen, aufgeregten Gespräch mit Asunción entfernte sie das »Bitte nicht stören« von der Tür, drückte auf den Room-Service-Knopf und kehrte zu ihrem Sessel zurück. Ihr schwirrte der Kopf, und ihr Herz schlug, als wäre sie frisch verliebt.
    Erst als es klopfte, erinnerte sie sich an das Bündel Banknoten. Sie legte es neben sich und deckte es mit ihrem Rock zu.
    Als der Kellner gegangen war, trank sie noch einmal auf den armen, treuen Claude Tenz.
    Erst dann fiel ihr Blick auf den Briefumschlag mit ihrem Namen und der Adresse »im Hause«.
    Sie riss ihn auf. Er enthielt etwas Gemaltes, Unförmiges. Es sah aus wie ein Haufen verwelkter [53]  Blütenblätter, war etwa zehn Zentimeter breit, aus einer Leinwand herausgeschnitten, seine Ränder waren etwas aufgeworfen und an einer Stelle ausgefranst.
    Sie brauchte lange, bis sie erkannte, dass es sich um eine verwelkte Dahlienblüte handeln musste. Aber dann begriff sie schnell, woher sie stammte, wer sie ihr geschickt hatte und was sie bedeutete.
    Sie nahm sich Zeit für ihren Caipirinha und vertrieb ihre Wut mit Gedanken an Paraguay.
    10
    Herr Klettmann, der Concierge, blickte überrascht über seine Halbbrille, als er Allmen und Carlos mit leichtem Gepäck die Lobby betreten und auf die Rezeption zusteuern sah. Allmen winkte ihm zu und begrüßte die schwarzgekleidete Frau, die sie mit ihrem Rezeptionistinnenlächeln erwartete.
    »Wie schön, Sie nach so kurzer Zeit wiederzusehen, Herr von Allmen, was kann ich für Sie tun?«
    »Sind die dreihundertelf und -zwölf frei?«, erkundigte sich Allmen.
    Die Rezeptionistin konsultierte ihren Bildschirm und bestätigte, dass die beiden Zimmer – Allmens Suite vom letzten Mal und das Nebenzimmer – frei [54]  seien. Was Allmen bei der schlechten Auslastung des etwas muffig gewordenen Schlosshotels nicht überraschte.
    Für das, was sie vorhatten, hätte ein Doppelzimmer gereicht. Aber natürlich war es weder für Allmen noch für Carlos vorstellbar, ein Zimmer miteinander zu teilen. Dafür, dass es für Allmen selbst unter diesen Umständen eine Suite sein musste, gab es in Carlos’ Augen keinen triftigen Grund. Für Allmen auch nicht. Er brauchte keinen. Er wohnte immer in Suiten.
    Sie ließen sich von der Rezeptionistin hinaufbringen und warteten, bis der Bellboy mit der grünen Schürze ihr Gepäck brachte. Carlos reiste mit einem roten Rollköfferchen, das María gehörte, Allmen mit einem Kleidersack und einer Reisetasche, beides Stücke aus seinem schwarzen Set mit den Initialen J.   f.   v.   a., einer Sonderanfertigung aus dem Hause Louis Vuitton. Allmen hasste Rollköfferchen, diese lächerlichen Gepäckstücke.
    Im Salon von Allmens Suite besprachen sie noch einmal kurz die Details ihres Plans. Zehn Minuten später begaben sie sich hinunter in die Lobby. Es war kurz vor einundzwanzig Uhr.
    Sie setzten sich in eine der Sitzgruppen der menschenleeren Lobby. Das Servierpersonal war im Grillroom beschäftigt, deshalb kümmerte sich der [55]  Concierge um sie, fragte nach ihren Wünschen und gab die Bestellung telefonisch weiter in die Bar. Kurz darauf kam der Barmann persönlich und brachte Allmen ein Glas Champagner und Carlos eine Cola. »Danke, Bert«, sagte Allmen, der sich angewöhnt hatte, sich die Namen der Barmänner zu merken.
    Sie beobachteten, wie der dünne, lange, kahle Herr Klettmann von dem untersetzten, bulligen, schnauzbärtigen Nachtportier abgelöst wurde. Sobald der Concierge gegangen war, standen Allmen und Carlos auf und begaben sich zum Empfangstresen.
    »Was kann ich für Sie tun, Herr von Allmen?«
    »Wir warten auf Herrn Klettmann«, antwortete Allmen.
    »Herr Klettmann hat Feierabend. Er ist soeben gegangen.«
    Allmen und Carlos wechselten einen irritierten

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