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Allmen und die verschwundene María

Allmen und die verschwundene María

Titel: Allmen und die verschwundene María Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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zeigen würde, er sei nur kurz im Land.
    Der Bauführer war etwas überrumpelt. Er sagte, normalerweise würden solche Baustellenbesuche vom Generalunternehmer angekündigt. Aber Allmens Auftreten war so souverän und selbstbewusst, dass er den Herren zwei gelbe Bauhelme überreichte und sie zu einer kurzen Führung mitnahm. Dass sie darauf bestanden, auch die Tiefgarage zu besichtigen, strapazierte seine Geduld ziemlich und führte dazu, dass er sie sich selbst überließ und zu dringenderen Aufgaben ins Baubüro zurückkehrte.
    So bemerkte er nicht, dass die beiden Geschäftsmänner die Bauhelme mitgehen ließen.
    Die gelben Helme erlaubten Allmen und Carlos, die nächsten Baustellen ohne Voranmeldung zu inspizieren. Der Cadillac verschaffte ihnen sogar so viel Respekt, dass sie jedes Mal von einem Arbeiter in einen geeigneten Parkplatz eingewiesen wurden.
    Sie stiegen aus, Carlos selbständig, Allmen, nachdem Herr Arnold ihm die Tür geöffnet hatte, und gingen zielstrebig zu dem Bau. Die Arbeiter sahen kurz auf und verdoppelten ihre Anstrengungen, um bei der Inspektion einen guten Eindruck zu hinterlassen.
    [153]  Die Tiefgaragen sahen alle gleich aus: große, niedrige, mit Betonsäulen abgestützte Hallen, je nach Bauphase mit Baumaterial, Werkzeug und Baumaschinen zugestellt oder bereits etwas aufgeräumt und mit mächtigen Lüftungskanälen aus verzinktem Blech versehen.
    Türlose Öffnungen führten in Treppenhäuser und Keller, zukünftige Waschküchen und Räume für Heizungen, Haustechnik und Liftmotoren. Die meisten besaßen noch keine Türen, aber manchmal waren sie behelfsmäßig mit Spanplatten versperrt. Wenn Allmen und Carlos auf solche trafen, klopften sie, und Carlos rief: »¿María mi vida?«
    Herr Arnold, der die Stadt von Kindheit an kannte, fuhr, ohne Fragen zu stellen, systematisch Straße für Straße ab und hakte auf seinem Stadtplan jede schon abgefahrene pedantisch mit einem roten Kugelschreiber ab.
    Als er verkündete, dass sie mit dem ersten Stadtkreis durch seien, ruhten die Arbeiten auf den Baustellen bereits. Allmen hatte gehofft, dies wäre die Gelegenheit, das sinnlose Unterfangen abzubrechen. Aber Carlos ließ keinen Zweifel daran, dass er fest entschlossen war, bis zum Einbruch der Dunkelheit weiterzumachen.
    Die Baustellen waren jetzt verlassen, nur hier und da versah ein einsamer Arbeiter in einem [154]  Bauwagen noch Wachdienst. Aber bei keinem erregten die beiden Bauinspektoren Misstrauen. Ungestört konnten sie ihre Tiefgaragen kontrollieren.
    Die Dämmerung war schon weit fortgeschritten, als sie bei der großen Baustelle am Rande eines Industrieviertels eintrafen. Das Bauschild zeigte ein zwölfstöckiges Gebäude mit Schaufenstern im Erdgeschoss und einer verglasten Fassade, die in einem Teil des Gebäudes von begrünten Balkonen durchbrochen war. Stilisierte Fußgänger promenierten vor den Schaufenstern, und ein Text in großen Lettern bot Büros, Läden und Eigentumswohnungen an.
    Der Bau war noch eingerüstet und hatte noch nicht seine vorgesehene Höhe erreicht. Eine Rampe führte in die Tiefgarage.
    Carlos ging voraus wie jedes Mal, wenn sie eine neue Tiefgarage betraten. Aber diesmal, so schien es Allmen, tat er es zielstrebiger als sonst. Er kam ihm angespannter vor, als hätte er eine Vorahnung. Und diese Anspannung übertrug sich auf Allmen, der bisher meistens mit schlecht gespieltem Einsatz hinterhergetrottet war.
    An den Wänden der Halle befanden sich mehrere Türöffnungen. Zwei führten in Treppenhäuser, zwei in Liftschächte, vier weitere in gefangene Räume.
    [155]  Carlos steuerte auf einen der Treppenhauseingänge zu. Neben der Treppe führte ein Korridor durch ein verzweigtes System von Kellerräumen.
    »Aquí está«, flüsterte Carlos und ging weiter. Für Allmen deutete nichts darauf hin, dass María Moreno hier versteckt sein könnte, aber er folgte Carlos’ Maya-Instinkt mit klopfendem Herzen.
    Vor einer behelfsmäßigen Tür blieb er stehen. Sie war mit einem Vorhängeschloss gesichert. Carlos legte den Finger an die Lippen und bedeutete Allmen, hier zu warten.
    Der Korridor war düster. Die restliche Dämmerung, die ein paar Meter entfernt aus einem Lichtschacht kroch, war die einzige Lichtquelle. Es roch nach Zement und Feuchtigkeit. Die Vorstellung, dass María jenseits dieser Tür gefangen sein könnte, ließ ihn schaudern. Und die Möglichkeit, dass sie bewacht sein könnte, machte ihm Angst.
    Zu seiner Erleichterung kam Carlos

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