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Allmen und die verschwundene María

Allmen und die verschwundene María

Titel: Allmen und die verschwundene María Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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zurück. Er hatte ein rostiges Armierungseisen bei sich, das er jetzt unter den Riegel schob, an dem das Vorhängeschloss hing. Er presste den Mund gegen den Türspalt und rief halblaut: »¿María mi vida?«
    Als er keine Antwort bekam, zog er am Hebel. Mit einem knirschenden Geräusch lösten sich die Schrauben aus dem Holz.
    In dem Raum stapelten sich Kabelrollen, [156]  Sicherungskästen, Kisten mit Schaltern, Steckdosen, Verteilerkästen, Leuchtkörpern. Die Elektroinstallateure hatten den Raum als Lager in Beschlag genommen.
    Carlos sah in jeden Winkel und hinter jeden Stapel, obwohl es offensichtlich war, dass María sich nicht hier befand. Er wollte es seinem Patrón noch einen Moment ersparen, dass der sein Gesicht sah.
    Als sie aus der Tiefgarage herauskamen, war es fast dunkel geworden. Auf der Fahrt zurück zur Villa machte Allmen zwei Anläufe, um Carlos von der Sinnlosigkeit dieses Vorgehens zu überzeugen. Aber dieser blieb entschlossen, die Suche am nächsten Tag fortzusetzen. Solito , wenn es sein müsse, allein.
    Sobald sie das kleine Vestibül des Gärtnerhauses betraten, fragte Allmen: »Carlos?«
    » ¿Qué manda, Don John?«
    »Wenn wir auf die Entführer gestoßen wären, was hätten wir gemacht?«
    Carlos öffnete das Jackett und zog einen schweren Revolver aus dem Hosenbund.
    Allmen erschrak. »Wo haben Sie das her, Carlos?«
    »Amigos.«
    »Keine Papiere, aber ein Revolver! Eine sehr explosive Mischung, Carlos.«
    [157]  7
    Am nächsten Morgen wurde Allmen noch vor dem Tee von seinem Handy in die Wirklichkeit zurückgeholt. Er hatte es an das Ladekabel angeschlossen und auf den Nachttisch gelegt, was er normalerweise nicht tat. Aber einen Tag vor dem Geiselaustausch rechnete er jederzeit mit einem Anruf der Entführer und den Angaben für den Treffpunkt.
    Doch es war Severin Erlbaum. »Kommen Sie«, sagte er dumpf.
    »Gibt es ein Problem mit dem Bild?«
    »Kommen Sie«, wiederholte Erlbaum.
    Beinahe hätte Allmen gegen sein Prinzip verstoßen, nie ungeduscht, unrasiert oder im Anzug vom Vortag aus dem Haus zu gehen. Aber er widerstand der Versuchung und widmete seiner Morgentoilette und Garderobe die übliche Sorgfalt. Wenn auch nicht die übliche Zeit.
    Carlos erwartete ihn ungeduldig. Er hatte das Klingeln gehört und ging davon aus, dass die Entführer sich gemeldet hatten. Es gab niemanden im Bekanntenkreis von Don John, der um diese Zeit anrief. Und dass er gleich darauf ins Bad ging, anstatt darauf zu warten, dass Carlos ihm den early morning tea brachte, konnte nur bedeuten, dass etwas vorgefallen war.
    [158]  In der vergangenen Nacht hatte er ein wenig geschlafen. Die Suche nach María hatte ihn ermutigt, obwohl sie erfolglos verlaufen war. Wenigstens taten sie etwas. Wenigstens kämpften sie. Am Abend nach der Rückkehr hatte er frijoles , Tortillas und guacamole gekocht und gemeinsam mit Don John gegessen. Etwas, was sie sonst nie taten. Nicht wegen Don John, seinetwegen. Er hatte gelernt, dass es sich nicht gehört, wenn der Herr mit dem Diener isst.
    Sie hatten den Plan studiert und die Reihenfolge der Stadtkreise festgelegt, die sie am nächsten Tag abklappern wollten. Herr Arnold war auf halb neun bestellt.
    Kurz vor sieben rief Don John durch den Türspalt, Carlos solle Herrn Arnold früher bestellen. So bald wie möglich. Kurz nach sieben kam er heraus.
    Bevor Carlos seine Frage stellen konnte, sagte Don John: »Es ist etwas mit dem Bild, Erlbaum hat angerufen.«
    »¿Qué cosa?«, fragte Carlos erschrocken.
    »Ich weiß es nicht. Er hat nur gesagt, ich solle kommen. Es klang dringend.«
    Allmen aß im Stehen einen Toast und nippte an seinem zu heißen Tee, als es klingelte. Fünf Minuten später saß er im Fond des Fleetwood. Es roch [159]  nach dem unaufdringlichen Rasierwasser von Herrn Arnold und dem Mittel, mit dem er die roten Lederpolster geschmeidig hielt.
    Das Häuschen, in dem sich Severin Erlbaums Atelier befand, stammte aus der Zeit, als die Haustüren noch Glasscheiben besaßen, die mit Schmiedeeisen mehr verziert als gesichert waren. Das Erste, was Allmen auffiel, war das Stück Pappkarton, das an die Scheibe geklebt war. An der Stelle, die der Türklinke am nächsten war.
    Der Restaurator öffnete ihm. Seine wenigen Haare standen kreuz und quer, sein Backenbart war verstrubbelt, und daneben wuchsen Stoppeln. »Schauen Sie«, sagte er und zeigte auf das Türschloss. »Der hat die Scheibe eingeschlagen, reingefasst und den Schlüssel umgedreht. Voilà, drin

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