Allmen und die verschwundene María
ihre Mutter gestorben war. Sie hatte damals schon bei Dalia Gutbauer hier im Hotel gewohnt, und ihre Schwester hatte sie angerufen, als sie gerade beim Abendessen waren.
»Beeilen Sie sich«, hatte Madame Gutbauer gesagt. »Ich war nicht dabei, als mein Vater starb, und ich bereue es noch heute.«
Es war eines der wenigen Male gewesen, dass Dalia Gutbauer ihr einen kleinen Einblick in ihr [164] Inneres gewährte. Und überhaupt das einzige Mal, dass sie zu verstehen gab, irgendetwas in ihrem Leben zu bereuen.
Die Atmosphäre im Sterbezimmer ihrer Mutter war die gleiche gewesen, wie sie jetzt in diesem Raum herrschte. Cheryl war sich sicher, dass ihre Chefin den nächsten Morgen nicht erleben würde.
So endete also das Leben dieser seltsamen Frau. Umgeben von Medizinern und Personal. Niemand, der sie liebte. Die nächste Angehörige ihre langjährige persönliche Assistentin, die mit betroffener Miene innerlich freudig Pläne schmiedete.
Dalia Gutbauer war jetzt an die Überwachungselektronik angeschlossen, die der Doktor in weiser Voraussicht hatte herbeischaffen lassen. Cheryl Talfeld war darauf gefasst, dass deren Piepsen verstummte oder in einen anhaltenden Ton überging.
Sie konnte nicht auf die Uhr blicken, aber die Nachtschwester hatte ihre Armbanduhr mit einer Sicherheitsnadel an die Schürze geheftet. Auf diese konnte Cheryl ab und zu einen verstohlenen Blick werfen.
Kurz nach sechs, zur gleichen Zeit, als Allmen von Severin Erlbaums Anruf geweckt wurde, verweigerte Dalia Gutbauer die Sauerstoffmaske und sagte: »Es geht mir wieder gut.«
[165] Das war zwar etwas übertrieben, aber alle Überwachungsgeräte zeigten tatsächlich eine Besserung ihres Zustands an. Sie schickte den Arzt und die Schwester hinaus und bat Cheryl, zu bleiben, bis sie eingeschlafen war. »Holen Sie sich einen Stuhl, und setzen Sie sich zu mir«, befahl sie.
Cheryl gehorchte. Wie fast immer in den letzten zweiundzwanzig Jahren.
»Wollen Sie das Hotel?«, fragte Dalia Gutbauer.
Cheryl war so überrascht, dass sie sagte: »Das Schlosshotel?«
»Ich habe kein anderes. Soviel ich weiß.« Sie ließ ihr kurzes trockenes Lachen hören. »Sie schmeißen die Dauergäste raus und stecken ein paar von Ihren Millionen rein, die Sie gehortet haben. Sie können das.«
Da hatte sie recht, sie konnte das. Wie oft hatte sie das Schlosshotel in Gedanken schon saniert. Von der sanften Renovierung bis zur Auskernung hatte sie alle Varianten durchgespielt. Und immer wurde das Hotel zu einer Goldgrube. Mit Bar, Brasserie, Gourmetrestaurant und dem luxuriösesten Spa der Stadt. »Ja, ich glaube, ich könnte das«, gab sie zur Antwort.
»Gut. Ich habe das nämlich so im Testament.«
»Das hat ja noch viel Zeit«, lächelte Cheryl scheinheilig.
[166] »Trotzdem wollte ich es Ihnen gesagt haben. Zwei Bedingungen gibt es. Wollen Sie sie hören?«
Ohne Cheryls Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: »Sie dürfen das Hotel nicht verkaufen. Das steht so im Testament. Und Sie müssen mir einen kleinen persönlichen Gefallen tun. Der steht nicht im Testament.«
»Einverstanden«, sagte Cheryl Talfeld, ohne zu fragen, worin der kleine Gefallen denn bestünde. Sie war, wie sie Herrn von Allmen kürzlich gestanden hatte, eben ein bisschen käuflich.
9
Bei María Moreno überstürzten sich die Ereignisse. Sie hatte zwar einen genauen Plan, aber sie war nicht darauf vorbereitet, ihn so früh ausführen zu müssen. Daher war sie trotz minutiöser Vorbereitung auf ihr Improvisationstalent angewiesen.
Bereits als es zu dämmern begann, hörte sie die Schritte, und unmittelbar darauf ging die Tür auf, und Due kam herein. Sofort wurde ihr klar, dass er die frühe Stunde gewählt hatte, um ohne Julio zu kommen.
Sie lag noch im Schlafsack und wollte den Reißverschluss öffnen, aber er stand schon neben ihr, [167] kauerte sich zu ihr herunter, stieß ihre Hand weg und zog am Reißverschluss.
Sie schaffte es, ihn anzulächeln.
Due hielt überrascht inne und erwiderte ihr Lächeln.
Sie lächelte wieder und tätschelte die Matratze neben sich. Er sah sie verwirrt an, zögerte und setzte sich.
María deutete auf die Fadenreste der beiden Blusenknöpfe, die er abgeschnitten hatte, und öffnete den Knopf darunter.
Jetzt stieß er ein rauhes Lachen aus. »Puttana!«
Wieder lächelte sie süß und tapfer.
Dann übernahm sie das Kommando. Sie küsste seinen verblüfften, stoppeligen Mund und stand auf. Sie öffnete die Bluse ganz und ließ sie fallen.
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