Allmen und die verschwundene María
ihn in der Holzklasse zu verbringen.
Nach dem Frühstück würde sie in ein Reisebüro gehen. Natürlich hätte sie den Flug auch über den Concierge buchen können, Klettmann war ein ganz brauchbarer Mann. Aber er war auch ein Dalia-Gutbauer-Mann. Auf keinen Fall durfte die durch ihn von ihren Plänen erfahren. Sie würde persönlich bei ihr aufkreuzen und auf Nimmerwiedersehen sagen. Diesen Triumph wollte sie sich nicht nehmen lassen. Deshalb war sie so früh auf den Beinen.
Die schrecklichen Schwestern kamen, kurz nachdem man ihr den Cappuccino und Orangensaft gebracht hatte. Die Dicke mit den Krücken blieb [145] vor Überraschung stehen, und die Hagere, die hinter ihr ging, lief in sie hinein, weil sie ebenfalls zu Teresa herüberschaute und nicht auf das plötzliche Anhalten der Schwester gefasst war.
Teresa lächelte zu ihnen hinüber. Vielleicht sah es mehr aus wie ein schadenfrohes Lachen über die kleine Karambolage, aber das war ihr egal.
Bis auf die Schwestern und zwei Geschäftsmänner, jeder allein an seinem Tisch, war der Frühstücksraum leer. Mehr als ein Dutzend weitere Gäste würden hier sicher nicht eintreffen. Das Schlosshotel war am Ende, das war ein offenes Geheimnis. Das Einzige, was es am Leben hielt, war das Vermögen von Dalia Gutbauer. Das allerdings war ein wohlgehütetes Geheimnis.
Aber vielleicht nicht mehr lange. Einer der vielen Vorsätze, die Teresa Cutress für den Rest ihrer Tage gefasst hatte, war, ein Buch zu schreiben. Arbeitstitel »Die Schlossherrin«. Darin würde alles vorkommen, was sie über das Leben der skandal- und geheimnisumwobenen Industrieerbin Dalia Gutbauer wusste. Und wie viel das war, darüber würde sich die Welt und vor allem die Erbin selbst noch wundern. Es wäre das Ende der Dalia Gutbauer, wie die Öffentlichkeit sie kannte. Und auch das Ende ihres Inkognitos in der obersten Etage des Schlosshotels am See.
[146] Man brachte ihr Ei mit Schinken. Es war so, wie sie es aus ihrer Jugend in Erinnerung hatte: Die Ränder der Spiegeleier braun von der heißen Butter, der Schinken an den Vertiefungen knusprig gewellt, elastisch an den Erhöhungen. Sie verschlang alles mit mädchenhaftem Appetit.
Ein dritter Geschäftsmann betrat den Frühstücksraum. Er ging nahe an ihrem Tisch vorbei, und sie konnte seine gerötete Haut und seine geschwollenen Lider sehen. So hatte Joe Cutress auch immer morgens ausgesehen, wenn er abends versackt war und sein Gesicht mit kalten Waschlappen gekühlt hatte. Sie konnte auch die Fahne aus zu viel Eau de Toilette, Knoblauch und Alkohol riechen.
Er suchte sich ein Tischchen aus, möglichst weit weg von denen der beiden anderen.
Wie froh sie war, nicht mehr mit einem Mann zusammenleben zu müssen.
Teresa Cutress bestellte sich einen zweiten Cappuccino und malte sich ihren Abschiedsbesuch bei Dalia Gutbauer aus. Ein Feuerwerk würde es werden. Mit einem kleinen Schlussbouquet.
[147] 5
Ein früher Frost im letzten Herbst hatte die Villa Schwarzacker zehn Rhododendren gekostet. Carlos hatte die Skelette ausgegraben und war dabei, sie mit der Schubkarre zum Kompostbereich zu fahren, wo er sie später häckseln wollte. Die neuen Pflanzen standen in ihren schwarzen Kunststofftöpfen einsatzbereit auf dem Gartenweg.
Carlos versuchte, sich mit Arbeit abzulenken. Aber es gelang ihm nur minutenlang. Immer wieder eilten seine Gedanken zu María zurück. Was Don John von seiner Begegnung mit der Römerin berichtet hatte, hinterließ in ihm zwiespältige Gefühle. Er hoffte, dass ihr Eingreifen – sofern man das Versenden einer SMS als Eingreifen bezeichnen konnte – dazu beitrug, dass María besser behandelt wurde. Aber die Nachricht, dass hinter der Entführung nicht Tino Rebler steckte, sondern der eigenmächtig handelnde entlassene Bodyguard, machte ihm große Sorgen.
Was ihn aber schier zur Verzweiflung brachte und all seine Versuche, sich mit den Aufgaben des Alltags abzulenken, scheitern ließ, war seine Hilflosigkeit. Wenn das, was er tat, wenigstens nicht nur seiner Ablenkung dienen würde, sondern ihrer Befreiung. Oder wenigstens ihrem Schutz. Wenn [148] es bloß einen Hinweis gäbe, dem er nachgehen könnte. Und zwar nicht nur in Gedanken, sondern in der Wirklichkeit. Er würde alles darum geben, sie wenigstens suchen zu können. Aber wo?
Er hatte jetzt die letzte der erfrorenen Stauden weggebracht und begann, das Beet für die Pflanzung der neuen vorzubereiten. Er lockerte die Erde und mischte sie mit Torf,
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