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Allmen und die verschwundene María

Allmen und die verschwundene María

Titel: Allmen und die verschwundene María Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Erlbaum vergrößerte die welke Blüte so weit wie möglich, ohne dass die Pixel sichtbar wurden.
    »Fantin-Latour hat Tausende von Blüten gemalt. Blüten waren seine Spezialität. Das macht ihm so schnell keiner nach. Schauen Sie sich mal diese Details an!«
    Allmen sah sie sich an. Erlbaum hatte recht. So vergrößert, wirkte der Ausschnitt wie ein impressionistisches Gemälde aus allen möglichen Weiß-, Grün-, Gelb-, Braun- und Grautönen in unterschiedlichen Farbdicken und Aufträgen. Ein Kunstwerk für sich allein.
    [141]  Er wandte sich vom Bildschirm ab und bemerkte, dass der Restaurator ihn mit seltsamem Blick musterte.
    »Schaffen Sie es bis Donnerstag, neun Uhr?«, fragte Allmen.
    Erlbaum ging nicht auf die Frage ein. »Ein sehr seltener Fantin-Latour«, bemerkte er stattdessen. »Fehlt praktisch in der Literatur. Verschollen.«
    Er blickte Allmen scharf durch seine runde Brille an, als erwarte er eine Erklärung.
    Allmen machte es Erlbaum nach: Er überging die Frage und kam auf sein Thema zurück. »Donnerstag, Punkt neun Uhr, werde ich mit dem Restbetrag vorbeikommen und das Bild abholen. In Ordnung?«
    »Ich bin mir inzwischen nicht mehr sicher, ob wir den Diskretionsanteil bei der Honorarberechnung nicht doch etwas unterbewertet haben.«
    »Dann also abgemacht: Donnerstag, neun Uhr nullnull.«
    3
    Die Haftbedingungen von María Moreno hatten sich ein wenig verbessert. Beim letzten Mal, als sie jemanden kommen hörte, hatte sie sich schlafend [142]  gestellt und war auf alles gefasst gewesen. Aber Due war nicht allein gekommen, Julio hatte ihn begleitet und war während der kurzen Zeit, die der Besuch in Anspruch nahm, im Raum geblieben.
    Due hatte ein paar Sachen mitgebracht: einen Schlafsack, ein Sixpack Mineralwasser, ein Viererpack Toilettenpapier und einen neuen Eimer. Darin waren zwei Fertigpackungen, eine mit Reis-, eine mit Makkaronisalat. In einer Papiertüte befanden sich vier Äpfel und eine Tafel Schokolade. Der übrige Inhalt: eine Zahnbürste, Zahnpasta und ein Orange- und Jasminraumspray.
    Sie war so dankbar für die Mitbringsel und so erleichtert, dass sie Due diesmal nicht allein ausgeliefert war, dass sie sich mit einem Lächeln bedankte. Julio hatte zurückgelächelt, und Due hatte eine Grimasse gezogen, die wohl so etwas wie ein Lächeln sein sollte.
    Es verschwand sofort, als Julio ihn anwies, den benutzten Eimer mitzunehmen.
    Kaum waren die beiden gegangen, hatte sie sich über ihre Dankbarkeit geärgert. Aber sie hatte sich sofort über den Reissalat hergemacht und etwas von der Schokolade gegessen. Das war ein gutes Zeichen. Sie fühlte sich besser, dank der Zäpfchen, von denen sie ein zweites genommen hatte.
    So ärgerlich es war, dass sie die beiden angelächelt [143]  hatte: Die Erwiderung ihres Lächelns, vor allem von Due, hatte sie auf eine Idee gebracht.
    Sie ging zu der Stelle neben der Tür, wo die Installation des Lichtschalters vorgesehen war, und zerrte an einem der Elektrodrähte, die dort herausschauten. Mit einem schleifenden Geräusch verschwand einer der Drähte an der Decke in der Öffnung.
    Sie hatte noch keinen Meter herausgezogen, als der Draht stecken blieb. Sie legte ein Stück Wolldecke um die Hand und wickelte ihn darum. Mit der so geschützten Hand konnte sie mit aller Kraft ziehen. Der Draht gab nach, und sie schaffte es, ihn ganz aus seiner Leitung zu zerren. María verknotete sein Ende zu einer Schlaufe, durch das sie das andere Drahtende zog. Jetzt hatte sie eine hübsche Schlinge aus grüngelb isoliertem Draht. Diese schob sie unter die Matratze, griffbereit.
    4
    Noch nie war Mrs.   Cutress im Frühstücksraum gesehen worden. Schon gar nicht zu dieser nachtschlafenden Zeit – halb neun. Sie betrat den Raum denn auch nicht wie ein Gast, der schon seit sechs Jahren hier wohnte, sondern unsicher wie ein Neuankömmling.
    [144]  Ein Kellner, der ihr seit Jahren gegen halb zwölf den Cappuccino und den Orangensaft aufs Zimmer brachte, sah sie an wie eine überirdische Erscheinung, bevor er sie zu einem Tisch führte und fragte, was sie trinken wolle.
    »Das Gleiche wie immer, Bruno«, sagte sie. »Aber mit Schinken und Ei.«
    Teresa hatte viel vor an diesem Tag. Einkaufen, eine Reisegarderobe, praktische Sachen, aber dennoch elegant. Sie hatte vor, wenn immer möglich First Class zu fliegen, auch wenn es sie einen zu großen Teil ihres neuen Vermögens kostete. Dies würde der letzte Transatlantikflug ihres Lebens sein, sie beabsichtigte nicht,

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