Allmen und die verschwundene María
war er. Kommen Sie.«
Allmen folgte ihm mit angehaltenem Atem in den großen Atelierraum. Erlbaum deutete mit theatralischer Geste auf die leere Staffelei. »Weg!«
Allmen hatte das Gefühl, dass ihm das Blut aus den Beinen wich. »Was sagen Sie da? Das Bild wurde gestohlen?«
»So ist es.«
»Weshalb hat der Schlüssel denn im Schloss gesteckt?«
»Das mache ich immer so. Zur Sicherheit.«
[160] »Und wo waren Sie?«
»Im Haus.«
»Und Sie haben nichts bemerkt?«
Severin Erlbaum verteidigte sich wütend. »Ich habe mich ein wenig hingelegt. Der Mensch braucht seinen Schlaf. Früher konnte ich das, achtundvierzig Stunden wach bleiben. Aber jetzt nicht mehr. Ich bin zweiundsechzig! Ob Sie’s glauben oder nicht!«
Allmen hatte keine Mühe, es zu glauben.
»Vier meiner Besten sind auch weg«, klagte Erlbaum.
Erst jetzt fiel Allmen auf, dass sich der Bilderschmuck an den Wänden ein wenig gelichtet hatte. Ein paar leere Stellen mit Bilderhaken waren zu sehen.
»Da waren Experten am Werk«, stellte der Künstler anerkennend fest. Er überreichte Allmen eine rosarote Ablagemappe. Sie enthielt Fotos von vier surrealistischen Gemälden in dem Stil, wie sie an den Wänden hingen. Blühendes in Winterlandschaft, Schneebedecktes in tropischer Umgebung et cetera.
»Ein Zyklus. Die vier Jahreszeiten. Meine besten Arbeiten.«
Allmen betrachtete die Bilder höflich und faltete die Mappe wieder zu. »Schade«, sagte er, »wirklich«, [161] und wechselte das Thema. »Haben Sie irgend jemandem von den Dahlien erzählt?«
Erlbaum schüttelte entschieden den Kopf.
»Oder hat jemand das Bild gesehen?«
»Möglich, dass ein Kunde es vom Laden aus gesehen hat. Von dort aus hat man Einblick ins Atelier. Ich mache die Tür nicht jedes Mal zu, wenn ich Kundschaft habe.«
»Das hätten Sie in diesem Fall aber tun sollen«, stellte Allmen etwas unwirsch fest. »Haben Sie die Polizei benachrichtigt?«
Allmens Frage mochte etwas besorgt geklungen haben, denn Erlbaum winkte beschwichtigend ab. »Ich wollte mich zuerst mit Ihnen absprechen. Der Diskretionsaspekt, Sie verstehen.«
Allmen verstand. Und wusste, was jetzt kam.
»Falls ich auf eine Anzeige verzichte, stellt sich natürlich die Versicherungsfrage. Ohne Anzeige zahlt sie selbstverständlich nicht.«
Allmen nickte nur abwesend. Er hatte jetzt andere Sorgen. Konnte das Zufall sein? Hatte ein Gelegenheitseinbrecher ein paar Bilder mitgehen lassen und dabei einen Fantin-Latour erwischt? Oder steckten die Leute dahinter, die es auf das Bild abgesehen hatten? Aber würden die auch noch ein paar der schrecklichen Erlbaums mitgehen lassen? Vielleicht als Tarnung? Oder hatte Erlbaum [162] den Einbruch einfach genutzt, um noch etwas mehr Geld herauszuholen?
Allmen fiel auf, dass es plötzlich still geworden war, als warte Erlbaum auf eine Antwort.
»Wie bitte?«, fragte er.
»Viel ist es nicht. Neunzigtausend. Alle vier. So viel, wie Sie mir als zweite Rate für die Restaurierung noch schulden. Darunter kann ich es nicht machen, das müssen Sie verstehen. Sonst muss ich den Schaden melden. Mit allen erwähnten Implikationen, Sie verstehen.«
»Sie lassen sich das Bild stehlen, und ich bezahle die Restaurierung trotzdem?« Irgendwo hatte selbst Allmens Gleichgültigkeit in Geldfragen ihre Grenzen.
»Nein, nein«, versicherte Erlbaum, »die zweite Rate der Restaurierungskosten schenke ich Ihnen selbstverständlich. Die neunzig sind für die vier Bilder. Das ist weit unter Marktwert.«
Allmen winkte ab und ließ ein verächtliches »Okay« vernehmen.
»Das heißt, Sie sind einverstanden? Neunzig?«
Allmen nickte. Er hielt immer noch das rosa Mäppchen mit den Fotos der vier gestohlenen Erlbaums in der Hand und streckte es ihm jetzt hin.
Erlbaum winkte ab. »Die können Sie behalten, ich habe Kopien.«
[163] Allmen bewegte sich auf den Ausgang zu.
»Halt, halt. Die Zahlungskonditionen haben wir noch nicht besprochen.«
Allmen ging weiter, Erlbaum folgte ihm. »Zahlbar bei Nichtanzeige des Einbruchs.«
8
Dalia Gutbauer hatte eine schlechte Nacht. Das Fieber war über neununddreißig gestiegen, ihr Puls war zu schnell, ihr Blutdruck zu hoch, sie hatte Schüttelfrost und Atemnot. Gegen Mitternacht hatte die Nachtschwester Dr. Kersthuber gerufen. Dieser legte ihr eine Infusion mit Antibiotika und schloss sie an das Beatmungsgerät an. Ab zwei Uhr morgens befand sich auch Cheryl Talfeld im Zimmer. Madame hatte sie rufen lassen.
Cheryl war dabei gewesen, als
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