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Allmen und die verschwundene María

Allmen und die verschwundene María

Titel: Allmen und die verschwundene María Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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die Immigranten. Carlos fand, das Gegenteil treffe zu: Essen wie zu Hause verstärkte das Heimweh. Es erinnerte einen immer daran, wie viel besser das gleiche Essen zu Hause schmeckte.
    Don Gregorio klopfte, streckte den Kopf herein und fragte, ob Carlos etwas mitessen wolle. Carlos lehnte ab.
    Als sein Gastgeber gegangen war, kletterte er aus dem Bett, legte eine Fünfzigernote auf das Kopfkissen, nahm sein Rollköfferchen und ging.
    [195]  In der Küche saß eine fröhliche Runde am Tisch. Carlos winkte Don Gregorio im Vorbeigehen zu. »Gracias«, sagte er.
    »De nada«, antwortete Don Gregorio. Er stellte auch jetzt keine Fragen.
    Carlos verließ den tristen Wohnblock und ging im Licht der spärlichen Straßenbeleuchtung an Schulhäusern, Industriebauten, verkommenen Spielplätzen und Gebrauchtwagenhandlungen vorbei bis zu einer etwas belebteren Kreuzung mit ein paar Läden, einer Kneipe, einer Drogerie und einer Bushaltestelle. Erst dort rief er ein Taxi, denn er wusste aus Erfahrung, dass ein Mann mit seinem Akzent nicht so leicht ein Taxi in Don Gregorios Gegend bestellen konnte. Und die Fahrt mit einem öffentlichen Verkehrsmittel bis zur Villa Schwarzacker war ihm zu riskant.
    Das Gärtnerhäuschen war hell erleuchtet. Aber es wimmelte nicht von Polizisten, wie Carlos angenommen hatte. Er fand zwar überall Spuren, die davon zeugten, dass das Haus vor kurzem noch voller Leute gewesen war, aber jetzt war es still bis auf das halblaute Stimmengemurmel in der Bibliothek.
    Er hätte jetzt leise in sein Zimmer hinaufgehen und warten können, bis die Luft rein war. Aber Carlos hatte beschlossen, sich zu stellen, und er [196]  war keiner, der von einem einmal gefassten Entschluss wieder abzubringen war.
    Daher ließ er sein Rollköfferchen im Vestibül stehen und ging direkt in die Bibliothek.
    Dort saß Don John mit einem Mann, den Carlos’ Instinkt sofort als Polizisten in Zivil identifizierte.
    » Muy buenas noches, Don John«, sagte er. »Haben sie angerufen?«
    Don John sah erschrocken auf und nickte.
    »Gracias a Dios«, seufzte Carlos erleichtert. Das bedeutete, dass nicht sie es waren, die das Bild gestohlen hatten, und dass sie María noch brauchten.
    Allmen erhob sich, schüttelte Carlos etwas linkisch die Hand und stellte ihn Detektivwachtmeister Gobler als »Herr de Leon, ein Mitarbeiter« vor.
    Der große Polizist und der kleine Illegale begrüßten sich mit einem formellen Händedruck.
    Carlos war noch immer in Fahrt und wollte seinem Entschluss, sich zu erkennen zu geben, treu bleiben. Daher sagte er in gebrochenem Deutsch: »Ich bin der Verlobte von Señorita María Moreno und habe keine gültigen Papiere.«
    Gobler winkte ab. »Ich bin nicht bei der Fremdenpolizei.«
    [197]  16
    Es hatte in der Nacht geregnet, und auch jetzt nieselte es aus einem tiefdunklen Himmel. Allmen hatte wie immer gut geschlafen und erinnerte sich erst, als Carlos mit dem Tee ins Schlafzimmer kam, was für ein Schicksalstag soeben begonnen hatte.
    Carlos dagegen sah nicht aus, als ob er überhaupt geschlafen hätte. Er war bleich, und die grauen Schatten unter den Augen waren fast schwarz.
    Den Detektivwachtmeister hatte sein Aufenthaltsstatus nicht weiter interessiert, er hatte Carlos wie selbstverständlich in die Planung mit einbezogen. Und dadurch, dass dieser sich gestellt hatte, erübrigte sich auch das Vorgespräch mit Herrn Arnold. Allmen hatte ihn bei Gobler ganz beiläufig als Fahrer ins Spiel gebracht, und der Wachtmeister hatte nichts dabei gefunden, dass ein Taxifahrer bei der Übergabe der dritte Mann sein würde.
    Gobler kam um acht Uhr in Begleitung der blonden Gefreiten und eines Mannes, der ein in braunes Papier eingeschlagenes Bild trug. Sie stellte ihn als Herrn Gerteler vor, den Drucker, der über Nacht den Öldruck möglich gemacht hatte. Auf dem Esstisch packte er das Bild aus. »Das Hauptproblem war die Ausdünstung«, erklärte er. »Riechen Sie etwas?«
    [198]  Allmen beugte sich zum Bild hinunter und schnüffelte. Er nahm einen ganz schwachen Farbgeruch wahr.
    »Besser bekomme ich es nicht hin. Ich habe eine Nachtschicht eingelegt, alte Leinwand benutzt, getönten Firnis und das Ganze stundenlang in den Trocknungsofen gelegt.«
    Der Öldruck war tatsächlich überzeugend. Die Farben abgetönt, als wären sie von den Jahren leicht verblichen, der Firnis etwas stumpf.
    »Sogar einen alten Keilrahmen habe ich verwendet.« Gerteler drehte das Bild um. Das Holz des Keilrahmens war alt und trug ein

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