Allmen und die verschwundene María
glaubwürdig klang Darios Drohung.
Kaum hatte Dario die Daten durchgegeben und aufgelegt, brach Betriebsamkeit aus: Der Wachtmeister und einer der Beamten führten nervöse Telefongespräche, und die beiden andern tippten in ihre Laptops und starrten auf die Monitore. [191] Allmen stand unbeachtet am Rand des Geschehens, noch immer mit Handy und Kopfhörern.
Nur ein paar Minuten dauerte das Gewusel, dann kehrte Ruhe ein. Die Männer entspannten sich, und Gobler erklärte Allmen die Situation: »Wir haben die Nummer identifiziert und den Standort festgestellt. Von jetzt an können wir sie verfolgen.«
Allmen fand, der Gesichtsausdruck des Detektivs passe nicht recht zu dem, was er sagte. »Das ist doch eine gute Nachricht, oder?«
»Warten wir’s ab. Kommen Sie.« Er führte ihn zu dem Laptop, in den die Männer fasziniert blickten. Der Bildschirm zeigte den Ausschnitt eines Stadtplans. Allmen erkannte die Straßennamen eines Außenquartiers. Ein rotes Dreieck bewegte sich darin ruckartig.
Jetzt wurde es ein wenig schneller – und hielt. Fuhr weiter – und hielt. Fuhr weiter – und hielt. Einer der Männer stöhnte ein bisschen. Ein anderer sagte: »Warte.«
Das Dreieck fuhr weiter. »Nächste Haltestelle Rosstal«, rief einer der Beamten im Tonfall eines Tramführers.
»Im Zwölfer-Tram«, erklärte Gobler.
»Die fahren Tram?«, wunderte sich Allmen.
»Die oder nur das Telefon. Bald werden wir es wissen.«
[192] »Wie?«
»Wenn es an der Endstation sitzen bleibt, ist es allein unterwegs.«
Vier Stationen fehlten bis zur Endstation. Bei jeder Haltestelle, an der das Dreieck sich nicht bewegte, wurden die Männer sarkastischer.
An der Endstation wurde es still im Raum. Das Dreieck blieb stehen, blieb stehen, blieb stehen.
»Scheiß Profis«, stöhnte Gobler.
»Let’s go«, sagte einer der Techniker. Die Männer begannen, ihre Anlage abzubauen.
»Was nun?«, fragte Allmen.
»Wir haben ja die Koordinaten«, tröstete der Wachtmeister. »Die erwischen wir schon. Aber wenn das Handy nicht das Tram genommen hätte, wäre alles ein bisschen einfacher gewesen.«
15
Carlos war bei Don Gregorio untergekommen. In dessen Wohnung in einem Außenquartier der Stadt wohnten bereits ein paar Männer aus Mittelamerika. Aber für einen illegalen Landsmann in Not hielt er in einem Kajütenbett immer ein Plätzchen frei.
Carlos hatte nur ein kleines Rollköfferchen dabei mit ein paar Kleidern zum Wechseln und den [193] nötigen Toilettenartikeln. Don Gregorio hatte keine Fragen gestellt, als Carlos klingelte und fragte, ob er ein, zwei Tage bei ihm Unterschlupf finden könne. Sie saßen in der Küche und unterhielten sich über Belangloses. Und wenn sie alle Themen ausgeschöpft hatten, wiederholten sie das schon Gesagte noch einmal. Sich wiederholen war besser als schweigen.
Als nach und nach die anderen Bewohner von ihrer Arbeit oder der Suche nach einer solchen oder ihrem jeweiligen Zeitvertreib zurückkamen, legte sich Carlos aufs Bett und dachte nach.
Vielleicht war es die falsche Entscheidung gewesen, Don John allein zu lassen. Es war zwar richtig, der Polizei aus dem Weg zu gehen. Sie hätten seinen Aufenthaltsstatus bald festgestellt, und ehe er sich’s versehen hätte, wäre er im Flugzeug nach Guatemala City gesessen.
Aber wenn sie María befreit hatten – er betete zum Hermano Maximón, dass dies bald geschah! –, würde man auch sie nach Bogotá zurückschicken, was sollte er dann noch hier? Er hätte vielleicht nicht auf Don John hören sollen, denn wenn der ihn bis nach der Übergabe aus dem Haus haben wollte, dann sicher nicht aus ganz uneigennützigen Motiven. Er wollte Carlos auf keinen Fall verlieren, denn ohne ihn wäre er aufgeschmissen.
[194] Dabei würde er ihn ohnehin verlieren. Denn wenn sich Carlos zwischen Don John und María entscheiden müsste…
Er hätte ihn gerne angerufen, um zu erfahren, wie es gelaufen sei. Ob die Entführer angerufen hatten, ob man ihre Spur habe verfolgen können, wo die Übergabe stattfinde und ob immer noch zur vorgesehenen Zeit, am nächsten Tag um elf.
Aber sie hatten vereinbart, dass er nicht anrief. Die Telefone würden bestimmt abgehört, und würde er im Gärtnerhaus anrufen, könnte er genauso gut persönlich vorbeikommen.
Was er vielleicht tatsächlich tun sollte. Don John und María – beide brauchten ihn.
Von draußen drangen Essensgerüche ins Zimmer. Essen wie zu Hause sei das Beste, was man gegen das Heimweh tun könne, sagten
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