Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
aufgelöst. Damit war die direkte Form der israelischen Besatzung in Gaza beendet. Israel kontrolliert aber weiterhin einen Großteil der Zugänge zum Gazastreifen, sammelt Zölle ein und nimmt für sich nicht nur das Recht in Anspruch, jederzeit militärisch innerhalb des Gazastreifens einzugreifen, sondern tut es auch regelmäßig.
So erweist sich Israel weiterhin als dritte Kraft in jedem palästinensischen Fußballspiel. Die Erzählungen des ehemaligen österreichischen Teamchefs Alfred Riedl, der das Training der palästinensischen Nationalmannschaft übernommen hatte, geben einen guten Einblick. Riedl hatte 2004 seinen Einjahresvertrag als Trainer der Palästinenser bereits nach neun Monaten aufgrund „fehlender Perspektiven“ aufgelöst. Ein seriöses Arbeiten sei unmöglich gewesen, begründete er seinen Schritt. Nach einem Auswärtsspiel in Kairo brauchten einige Spieler vier Tage für die Heimreise per Bus ins eigentlich nur wenige Autostunden entfernte Gaza. Die letzten Meter über die Grenze nach Gaza mussten sie samt Gepäck auf Eseln zurücklegen. „Einfach unvorstellbar“, meinte Riedl in einem Interview. „Einem meiner Spieler zerstörte die israelische Armee mit Granatwerfern das Haus, weil sie unterirdische Tunnel unter dem Gebäude vermutete. Überhaupt muss man sich einmal vorstellen, irgendwo Fußball zu spielen, während zu Hause das Leben von Frau und Kindern ständig bedroht ist“, führte er aus. Riedl selbst war nie in Gaza. Trainiert wurde in Ägypten, die Heimspiele fanden in Katar statt.
Wenige Tage nach dem WM-Finale zwischen Frankreich und Italien 2006: Ein paar palästinensische Jungs kicken inspiriert von dem Spiel noch ein wenig auf einem Fußballplatz in Beit Hanoun, im nördlichen Gazastreifen, direkt an der Grenze zu Israel. Wie jeden Tag imitieren sie ihre Stars aus dem Fernsehen. Es ist ein gefährlicher Platz. In der Nachbarschaft feuern militante Palästinenser Qassam-Raketen auf israelisches Gebiet. Die israelische Armee, postiert direkt hinter dem Grenzzaun, antwortet mit ihrer Artillerie. Eine Granate schlägt auf dem Spielfeld ein. Für Mahfouth Farid Nuseir, Ahmad Ghalib Abu Amsha und Ahmad Fathi Shabat war es ihr letztes Match. Alle drei waren 16 Jahre alt.
Abpfiff für den deutschen Trainer in Bagdad
(Bagdad, den 13. Februar 2003)
Er sieht niedergeschlagen aus, wie er so dasitzt in der verschlissenen Sitzecke im Bagdader Sheraton-Hotel. Fünf Monate hat der deutsche Fußballtrainer der irakischen Olympia- und Nationalmannschaft hier gewohnt, doch nun muss Bernd Stange auschecken. Zwangsweise. Die deutsche Botschaft hat ihn, wie alle Deutschen, aufgefordert, aus Sicherheitsgründen das Land sofort zu verlassen. Dass der strömende Regen gegen das Fenster klatscht, passt zur Stimmung. Er sei sehr stolz auf das, was er in so kurzer Zeit geleistet habe, sagt Stange, der Fußball-Lehrer. Seine Mannschaft hat in letzter Zeit überall in der Region Aufsehen erregt. Umso deprimierender sei es nun, all das einfach hinter sich lassen zu müssen.
Dass er irgendwann, „wenn das alles vorbei ist“, zurückkommen wird, daran hat der 54-Jährige keinen Zweifel. Sein Vertrag erlaubt es ihm, im Kriegsfall seine Tätigkeit kurzfristig zu unterbrechen, danach aber will er da weitermachen, wo er jetzt schweren Herzens aufhört. Als ihm mitgeteilt wurde, dass er das Land verlassen solle, überkam Stange das Gefühl, aus einer schwierigen Situation einfach so zu flüchten und die Menschen im Stich zu lassen, die er lieb gewonnen und mit denen er so hart trainiert hat. Aber die Spieler und der Verband hätten Verständnis dafür gehabt, dass er nach Deutschland zurückreist, zu seiner Familie in Jena.
Seine Mannschaft hatte sich vor wenigen Wochen bei einem Freundschaftsspiel in Dubai auch für die Familie entschieden. Die Arabischen Emirate hatten im Einvernehmen mit dem irakischen Fußballverband der Mannschaft und dem Trainer angeboten, ihnen in Dubai „ein Trainingslager unter Fünf-Sterne-Bedingungen“ zu finanzieren, um so dem drohenden Krieg aus dem Weg gehen zu können. Das Angebot galt bis zum 5. April, jenem Tag, an dem die irakische Fußballmannschaft zur Olympiaqualifikation gegen Vietnam antreten soll. Als Stange die Offerte mit seinen Spielern besprach, lehnten diese ab. Sie wollten in schweren Zeiten in der Nähe ihrer Familien sein, teilten sie dem Trainer mit.
Wann Stange wieder nach Bagdad zurückkehren wird, darüber will er nicht spekulieren. „Ich
Weitere Kostenlose Bücher