Allwissend
suchen, sondern nach Travis Brigham. Und ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass diese Suche mit viel Nachdruck betrieben wird. Du hast jede Menge Feinde, Chilton.«
Er spannte den Hahn des Revolvers.
»Nein!«, wimmerte Patrizia Chilton verzweifelt und panisch.
Schaeffer widerstand der Versuchung, sie als Erste zu erschießen.
Er behielt die Waffe ruhig auf sein Ziel gerichtet und bemerkte, dass James Chilton das Gesicht zu einem resignierten und, wie es schien, ironischen Lächeln verzog.
Schaeffer drückte abermals die Aufnahmetaste der Kamera und legte den Finger um den Abzug.
Als jemand rief: »Keine Bewegung!«
Die Stimme kam von der offenen Bürotür. »Lassen Sie die Waffe fallen. Sofort!«
Erschrocken wandte Schaeffer den Kopf und sah einen schlanken jungen Latino mit weißem Hemd und hochgekrempelten Ärmeln. Der Mann zielte mit einer Pistole auf ihn. An seinem Gürtel hing eine Dienstmarke.
Nein! Wie hatten die ihn gefunden?
Schaeffer behielt die Mündung auf die Brust des Bloggers gerichtet und befahl dem Cop: »Sie lassen die Waffe fallen!«
»Senken Sie die Waffe«, lautete die ruhige Antwort des Beamten. »Das ist die letzte Warnung.«
Schaeffer schnaubte verächtlich. »Falls Sie auf mich schießen, werde ich...«
Er sah einen gelben Blitz, spürte einen leichten Schlag gegen den Kopf, und dann wurde alles schwarz.
Kapitel 36
Die Toten rollten, die Lebenden gingen.
Die Leiche von Greg Ashton - der in Wahrheit Greg Schaeffer hieß, wie Dance erfahren hatte - wurde auf einer klapprigen Bahre die Stufen hinunter und über den Rasen zum Bus der Coroner's Division geschoben, während James und Patrizia Chilton sich langsam zu Fuß dem wartenden Krankenwagen näherten.
Zum Entsetzen aller hatte noch jemand sein Leben verloren: Miguel Herrera, der MCSO-Deputy, der zur Bewachung der Chiltons abgestellt worden war.
Schaeffer hatte neben Herreras Wagen angehalten und sich als Ashton vorgestellt. Der Deputy hatte daraufhin Patrizia angerufen und erfahren, dass der Mann erwartet wurde. Dann hatte Schaeffer offenbar seine Waffe fest gegen Herreras Jacke gedrückt und zwei Schüsse abgefeuert, die durch die Nähe zum Körper gedämpft wurden.
Inzwischen war Herreras Vorgesetzter hier und mit ihm ein Dutzend weiterer Deputys, die angesichts des Mordes alle erschüttert und wütend zugleich waren.
Die Chiltons schienen nicht allzu schwer verletzt worden zu sein.
Dance behielt jedoch Rey Carraneo im Auge. Er war als Erster vor Ort gewesen, hatte den toten Deputy entdeckt, Verstärkung angefordert und war dann ins Haus geeilt, wo Schaeffer soeben Chilton erschießen wollte. Carraneo hatte den Killer vorschriftsgemäß gewarnt und ihm dann, als der Mann zu verhandeln versuchte, kurzerhand zwei überaus wirksame Kugeln in den Kopf geschossen. Diskussionen mit bewaffneten Tätern finden nur in Filmen und Fernsehserien statt - und meistens nicht in besonders guten. Polizisten senken niemals ihre Waffen oder lassen sie gar fallen. Und sie zögern nicht, ein Ziel auszuschalten, sofern sich ihnen eines bietet.
Die Regeln Nummer eins, zwei und drei lauten: Schießen!
Und das hatte Rey. Auf den ersten Blick schien mit dem jungen Beamten alles in Ordnung zu sein. Er wirkte so professionell und aufrecht wie immer, als würde er diese Körperhaltung jeden Tag wie einen geliehenen Smoking überstreifen. Doch seine Augen erzählten eine andere Geschichte und verrieten, was ihm gerade in einer Endlosschleife durch den Kopf ging: Ich habe soeben einen Menschen getötet. Ich habe soeben einen Menschen getötet.
Dance würde dafür sorgen, dass er einige Tage bezahlten Sonderurlaub nahm.
Ein Wagen hielt am Bordstein, und Michael O'Neil stieg aus. Er entdeckte Dance und gesellte sich zu ihr. Der stille Deputy lächelte nicht.
»Es tut mir leid, Michael.« Sie drückte seinen Arm. O'Neil hatte Miguel Herrera seit vielen Jahren gekannt. »Er hat ihn einfach erschossen?« »Ja.«
Er schloss kurz die Augen. »Mein Gott.« »War er verheiratet?«
»Nein, geschieden. Aber er hatte einen erwachsenen Sohn. Er wurde bereits verständigt.« Der sonst so ruhige O'Neil mit der sonst so undurchdringlichen Fassade musterte voller Hass den grünen Leichensack, in dem Greg Schaeffer lag.
»Danke«, sagte plötzlich eine schwache, zittrige Stimme.
Sie wandten sich zu dem Sprecher um: James Chilton. Mit seiner dunklen Hose, dem weißen T-Shirt und dem marineblauen Pullover mit V-Ausschnitt wirkte der Blogger wie ein
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