Allwissend
Gesicht, als ließen sich so die drohenden Tränen aufhalten.
»Und er war auch nicht der Killer, der diese Kreuze aufgestellt hat. Jemand hat es so aussehen lassen, als wäre Travis der Täter gewesen. Der Mann hatte es auf James Chilton abgesehen. Wir konnten ihn aufhalten.«
»Und Travis?«, fragte Sonia verzweifelt. Sie hielt das T-Shirt so fest umklammert, dass ihre Finger weiß waren.
»Wir wissen nicht, wo er ist. Wir suchen überall, aber wir haben bisher keinerlei Hinweise gefunden.« Dance erzählte ihr kurz von Greg Schaeffer und seinem Racheplan.
Sonia wischte sich die runden Wangen ab. Man sah ihr immer noch an, dass sie früher hübsch gewesen war. So hübsch wie auf dem vor vielen Jahren aufgenommenen Foto, das sie in der Jahrmarktbude zeigte. »Ich wusste, dass Travis diesen Leuten nichts zuleide getan hat«, flüsterte sie. »Ich hab's Ihnen gesagt.«
Ja, das haben Sie, dachte Dance. Und Ihre Körpersprache hat mir verraten, dass Sie es auch so gemeint haben. Aber ich habe nicht auf Sie gehört. Ich habe der Logik gehorcht, als ich meiner Intuition hätte folgen sollen.
Vor langer Zeit hatte Dance sich selbst nach der Myers-Briggs-Methode analysiert. Sie geriet in Schwierigkeiten, wenn sie zu sehr gegen ihre Natur handelte.
Sonia legte das T-Shirt hin und strich es wieder glatt. »Er ist tot, nicht wahr?«
»Wir haben keinen Beweis dafür. Keinen einzigen.«
»Aber Sie glauben es.«
»Es wäre für Schaeffer logisch gewesen, ihn am Leben zu lassen. Wir tun alles in unserer Macht Stehende, um ihn zu retten. Das ist einer der Gründe, weshalb ich hergekommen bin.« Sie zeigte ihr das Führerscheinfoto von Greg Schaeffer. »Haben Sie diesen Mann schon mal gesehen? Hat er Sie vielleicht verfolgt? Oder mit den Nachbarn gesprochen?«
Sonia setzte eine zerkratzte Brille auf und musterte das Gesicht eine ganze Weile. »Nein. Ich kann nicht behaupten, dass er mir je aufgefallen wäre. Ist er das? Der Mann, der meinen Jungen entführt hat?«
»Ja.«
»Ich habe Ihnen gesagt, dieses Blog bedeutet nichts Gutes.«
Ihr Blick schweifte seitlich zum Fenster hinaus, wo Sammy soeben in dem baufälligen Schuppen verschwand. Sie seufzte. »Falls Travis tatsächlich tot ist, wie soll ich es bloß Sammy beibringen? ... Das wird ihn zugrunde richten. Ich werde meine beiden Söhne gleichzeitig verlieren... Aber jetzt muss ich mich um die Wäsche kümmern. Bitte gehen Sie.«
Dance und O'Neil standen nebeneinander auf dem Pier und lehnten am Geländer. Die stetige Brise hatte den Nebel vertrieben. Rund um die Monterey Bay gab es immer das eine oder das andere.
»Travis' Mutter«, sagte O'Neil laut, um den Wind zu übertönen. »Das war bestimmt hart.«
»Es war das bislang Schwierigste«, sagte sie mit wehenden Haaren. »Wie war die Vernehmung?« Sie musste an den Indonesien-Fall denken.
Den Anderen Fall.
»Gut.«
Sie war froh, dass O'Neil die Ermittlungen leitete, und bedauerte ihre Eifersucht. Der Terrorismus verursachte allen Polizisten schlaflose Nächte. »Falls ich dir helfen kann, lass es mich wissen.«
Sein Blick war auf die Bucht gerichtet. »Ich glaube, wir können innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden zuschlagen.«
Unter ihnen am Strand spielten ihre vier Kinder. Maggie und Wes leiteten die Expedition; als Enkel eines Meeresbiologen besaßen sie eine gewisse Autorität.
Ein paar Pelikane flogen gemächlich vorbei, überall waren Möwen, und nicht weit vom Ufer entfernt ließ ein brauner Seeotter sich elegant auf dem Rücken treiben und zertrümmerte fröhlich Muscheln oder Schnecken an einem Stein, den er auf der Brust balancierte. Abendessen. O'Neils Tochter Amanda und Maggie sahen dem Otter sehnsüchtig zu, als würden sie sich überlegen, wie man ihn mitnehmen und als Haustier halten könnte.
Dance berührte O'Neil am Arm und wies auf den zehnjährigen Tyler, der neben einem langen Stück Seetang hockte und es vorsichtig anstupste, immer zur Flucht bereit, falls die merkwürdige Kreatur plötzlich zum Leben erwachen sollte. Wes stand für diesen Fall schützend in der Nähe.
O'Neil lächelte, aber Dance entnahm seiner Haltung und der Anspannung in seinem Arm, dass etwas ihn beschäftigte.
Gleich darauf erklärte er es ihr. »Es gibt Neuigkeiten aus Los Angeles«, rief er über eine stürmische Bö hinweg. »Die Verteidigung versucht, die Anhörung noch weiter hinauszuzögern. Zwei Wochen.«
»O nein«, murmelte Dance. »Zwei Wochen? Da sollte doch bereits die Grand Jury
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