Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Allwissend

Allwissend

Titel: Allwissend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
Vom Netzwerk:
schaute auf das Display. Jonathan Boling hatte angerufen, aber offenbar keine Nachricht hinterlassen. Sie überlegte, ob sie zurückrufen sollte. Doch stattdessen drückte sie die Kurzwahltaste für Michael O'Neil. Nach dem vierten Klingeln meldete sich die Mailbox.
    Vielleicht war er mit dem Anderen Fall beschäftigt.
    Oder er sprach gerade mit Anne, seiner Frau.
    Dance warf das Telefon auf den Beifahrersitz.
    Als sie sich dem Haus näherte, zählte sie ein halbes Dutzend Polizeifahrzeuge und zwei Krankenwagen.
    Der Sheriff von San Benito County, mit dem sie schon oft zusammengearbeitet hatte, entdeckte sie und winkte sie zu sich. Mehrere Beamte traten beiseite, und sie führ über den holprigen Rasen.
    Sie sah Travis Brigham auf einer Trage liegen, mit einem Tuch über dem Gesicht.
    Dance stellte den Automatikhebel auf die Parkposition, stieg aus und eilte zu dem Jungen. Sie bemerkte seine nackten Füße, die Striemen am Knöchel, die bleiche Haut.
    »Travis«, flüsterte sie.
    Der Junge zuckte zusammen, als hätte sie ihn aus dem Tiefschlaf gerissen.
    Er nahm das feuchte Tuch und das Kühlkissen von seinem malträtierten Gesicht, blinzelte ein paarmal und erkannte schließlich, wer sie war. »Ach, äh, Officer... ich hab Ihren Namen vergessen.«
    »Dance.«
    »Tut mir leid.« Er wirkte aufrichtig zerknirscht.
    »Kein Problem.« Kathryn Dance drückte ihn fest an sich.
     
    Der Junge werde wieder völlig gesund, erklärte der Sanitäter. Seine schlimmste Verletzung nach all den Strapazen – sogar die einzige, die der Rede wert war - stammte vom Aufprall seiner Stirn auf den Kaminsims im Wohnzimmer, als das Sondereinsatzkommando von San Benito County Chiltons Haus gestürmt hatte.
    Die Männer hatten die Vorgänge zunächst nur beobachtet und auf Dances Ankunft gewartet. Dann konnte der Einsatzleiter durch das Fenster verfolgen, wie der Junge das Wohnzimmer mit einem Revolver betrat. Kurz darauf zog auch James Chilton eine Waffe. Und aus irgendeinem Grund wollte Travis sich dann anscheinend das Leben nehmen.
    In dem Moment befahl der Einsatzleiter den Zugriff. Die Männer warfen Blendgranaten, die mit ohrenbetäubendem Knall explodierten. James Chilton wurde zu Boden geschleudert, und der Junge stieß sich den Kopf am Kaminsims an. Die Beamten stürmten vor und entwaffneten alle beide. Sie legten Chilton Handschellen an und zerrten ihn nach draußen. Dann brachten sie Donald Hawken und seine Frau in Sicherheit und überließen Travis den Sanitätern.
    »Wo ist Chilton?«, fragte Dance nun.
    »Da drüben«, sagte der Sheriff und wies auf einen der Streifenwagen, in dem der Blogger gefesselt und mit gesenktem Kopf saß.
    Sie würde sich später um ihn kümmern.
    Dance musterte Chiltons Nissan Quest. Alle fünf Türen standen offen, und die Spurensicherung hatte den Wagen bereits ausgeräumt. Am bemerkenswertesten waren das letzte Kreuz und ein Strauß roter, mittlerweile bräunlich verfärbter Rosen. Chilton dürfte geplant haben, im Anschluss an die Ermordung der Hawkens beides in der Nähe zu platzieren. Auch Travis' Fahrrad stand neben der Hecktür, und in einer durchsichtigen Beweismitteltüte lag das graue Kapuzenshirt, das Chilton den Brighams gestohlen hatte, um es während seiner Taten zu tragen und entsprechende Fasern an den Tatorten zurückzulassen.
    »Und die Hawkens?«, fragte Dance den Sanitäter. »Wie geht es ihnen?«
    »Die beiden sind ziemlich mitgenommen, wie Sie sich vorstellen können, und haben ein paar Schrammen davongetragen, als sie während des Zugriffs zu Boden geworfen wurden. Aber sie werden sich wieder erholen. Sie warten auf der Veranda.«
    »Geht es Ihnen gut?«, fragte Dance den Jungen.
    »Halbwegs«, antwortete er.
    Sie erkannte, was für eine törichte Frage das war. Es ging ihm selbstverständlich nicht gut. Er war von James Chilton entführt worden und hatte Donald Hawken und dessen Frau ermorden sollen.
    Doch anstatt dem Befehl zu folgen, hatte er es offenbar vorgezogen, seinem eigenen Leben ein Ende zu setzen.
    »Ihre Eltern müssten bald hier sein«, sagte sie.
    »Ja?« Der Junge klang zögerlich.
    »Sie haben sich große Sorgen um Sie gemacht.«
    Er nickte, aber sie sah ihm an, dass er skeptisch war.
    »Ihre Mutter hat vor Freude geweint, als ich es ihr erzählt habe.«
    Das stimmte. Dance wusste jedoch nicht, wie der Vater reagiert hatte.
    Ein Deputy brachte dem Jungen eine Cola.
    »Danke.« Er trank gierig. In Anbetracht seiner mehrtägigen Gefangenschaft hielt er sich

Weitere Kostenlose Bücher