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Allwissend

Allwissend

Titel: Allwissend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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denn im Sommer platzte die Stadt vor lauter Auswärtigen fast aus den Nähten.
    »Okay«, verkündete Hawken. »Ich kann nicht mehr länger warten.«
    »Du kannst nicht warten?«, fragte Chilton mit verwirrtem Lächeln.
    »Ich habe dir doch gesagt, was ich mitbringen würde.«
    »Ach, das Bild? Wirklich, Don. Das ist nicht nötig.«
    »Es geht nicht um >nötig<. Ich möchte es gern.«
    Hawken ging ins Gästezimmer, in dem er und Lily untergebracht waren, und kehrte mit einem kleinen Ölgemälde zurück, dem impressionistischen Abbild eines blauen Schwans vor dunkelblauem Hintergrund. Sarah, seine verstorbene Frau, hatte es in San Diego oder La Jolla gekauft. Als Jim Chilton nach ihrem Tod in Südkalifornien gewesen war, hatte Hawken ihn eines Tages dabei angetroffen, wie er bewundernd das Gemälde betrachtete.
    In dem Moment hatte Hawken beschlossen, dass er seinem Freund das Bild irgendwann schenken würde, zum Dank für den Beistand während jener furchtbaren Zeit.
    Nun musterten sie alle drei den Vogel, der gerade vom Wasser abhob.
    »Es ist wunderschön«, sagte Chilton. Er stellte das Bild auf das Kaminsims. »Vielen Dank.«
    Hawken, der inzwischen ein halbes Glas rührseliger war, wollte gerade einen neuen Toast ausbringen, als in der Küche eine Tür knarrte.
    »Oh«, sagte er lächelnd. »Ist das Pat?«
    Doch Chilton runzelte die Stirn. »Sie kann eigentlich nicht so schnell hier sein.«
    »Aber ich habe etwas gehört. Du nicht auch?«
    Der Blogger nickte. »Doch, habe ich.«
    Lily sah zur Küche. »Da ist jemand. Ich bin mir sicher.« Sie runzelte die Stirn. »Ich höre Schritte.«
    »Vielleicht...«, setzte Chilton an.
    Doch Lilys Aufschrei schnitt ihm das Wort ab. Hawken führ herum und ließ sein Weinglas fallen, das laut zersplitterte.
    Ein Halbwüchsiger mit wirrem Haar und pickligem Gesicht stand in der Türöffnung. Er schien high und desorientiert zu sein, denn er schaute sich blinzelnd um. Und er hatte einen Revolver in der Hand. Scheiße, dachte Hawken. Sie hatten nach ihrer Ankunft die Hintertür nicht verriegelt. Dieser Junge wollte sie ausrauben.
    Eine Bande. Er musste zu einer Bande gehören.
    »Was wollen Sie?«, flüsterte Hawken. »Geld? Wir geben Ihnen Geld.«
    Der Junge kniff immer noch die Augen zusammen. Dann sah er Jim Chilton und hielt inne.
    Donald Hawken keuchte auf. »Das ist der Junge aus dem Blog! Travis Brigham!« Dünner und blasser als auf den Fotos im Fernsehen. Aber es gab keinen Zweifel. Er war nicht tot. Was hatte das zu bedeuten? Eines immerhin war klar: Der Junge war hier, um Donalds Freund Jim Chilton zu erschießen.
    Lily klammerte sich an den Arm ihres Mannes.
    »Nein! Tun Sie ihm nichts, Travis«, rief Hawken und wollte sich am liebsten schützend vor Chilton stellen. Nur der Griff seiner Frau hielt ihn davon ab.
    Der Junge trat einen Schritt vor. Er blinzelte und schaute dann weg - zu Hawken und Lily. »Das sind die beiden, die ich töten soll?«, fragte er mit zittriger Stimme.
    Was meinte er?
    »Ganz recht, Travis«, flüsterte James Chilton. »Tu jetzt, worauf wir uns geeinigt haben. Schieß.«
     
    Das grelle Licht brannte in seinen Augen. Travis starrte das Pärchen an - die Leute, die er töten sollte, wie sein Entführer ihm vor einer halben Stunde im Keller aufgetragen hatte: Donald und Lily. Der Mann hatte erklärt, sie würden gleich eintreffen und im Wohnzimmer sein - in genau diesem Haus, in dessen Keller er die letzten drei oder vier Tage zugebracht hatte.
    Travis begriff nicht, weshalb sein Entführer den Tod dieser Menschen wollte. Doch das war egal. Es kam nur auf eines an, nämlich darauf, dass seine Familie am Leben blieb.
    Travis, hast du mir was mitgebracht?
    Er richtete die Waffe auf die Leute.
    Die beiden riefen etwas, das er kaum wahrnahm. Er bemühte sich, den Revolver ruhig zu halten, und brauchte dafür all seine Kraft. Nach den Tagen an der Kette war er schwach auf den Beinen. Schon die Treppenstufen hatten ihn erschöpft. Die Mündung wankte hin und her.
    »Nein, bitte nicht!«, schrie jemand, der Mann oder die Frau. Travis konnte es nicht sagen. Er war verwirrt, und das helle Licht raubte ihm die Orientierung. Es blendete ihn fast. Travis zielte auf das Paar, doch er fragte sich immer noch: Wer sind dieser Donald und diese Lily? Im Keller hatte der Mann gesagt: »Betrachte sie als Figuren aus diesem Spiel, das du spielst. DimensionQuest. Donald und Lily sind bloß Avatare, sonst nichts.«
    Aber diese schluchzenden Menschen hier vor ihm

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