Allwissend
gefällt? Weil Sie nicht wollen, dass Ihr kostbares Blog von deren Obszönitäten besudelt wird? Haben Sie was gegen schlechte Grammatik?«
Er erwiderte nichts, aber Dance glaubte, in seinen Augen eine gewisse Bestätigung aufflackern zu sehen. Sie setzte nach. »Und weshalb Lyndon Strickland? Und Mark Watson? Sie haben die beiden einfach nur deswegen ermordet, weil sie unter ihren richtigen Namen gepostet hatten und leicht zu finden waren, nicht wahr?«
Chilton wandte den Blick ab, als wisse er, dass die Wahrheit in seinen Augen zu lesen stand.
»James, diese Bilder, die Sie ins Blog hochgeladen haben, vermeintlich als Travis... die haben Sie selbst gezeichnet, oder? In Ihrer Biografie im Report steht, dass Sie während des Studiums als Grafikdesigner und Art-Direktor gejobbt haben.« Er sagte nichts.
Ihre Wut loderte auf. »Hat es Ihnen Spaß gemacht, meine Ermordung zu zeichnen?« Wieder nur Schweigen.
Sie richtete sich auf. »Ich komme demnächst vorbei, um Sie zu vernehmen. Falls Sie es wünschen, kann Ihr Anwalt dabei zugegen sein.«
Da sah er sie plötzlich mit flehentlicher Miene an. »Eine Sache noch, Agent Dance. Bitte!« Sie hob eine Augenbraue. »Ich brauche etwas. Es ist wichtig.« »Und das wäre, James?« »Ein Computer.« »Wie bitte?«
»Ich brauche Zugang zu einem Computer. Bald. Noch heute.« »Ihnen stehen im Gefängnis Telefonanrufe zu. Kein Computer.«
»Aber der Report... ich muss meine Storys hochladen.«
Da konnte sie ihr Lachen nicht mehr zurückhalten. Er machte sich keine Gedanken um seine Frau oder die Kinder, sondern nur um das kostbare Blog. »Nein, James, das können Sie vergessen.«
»Aber ich muss. Ich muss\«
Als sie diese Worte hörte und dazu sein verzweifeltes Gesicht sah, begriff Kathryn Dance endlich, was in James Chilton vorging. Die Leser bedeuteten ihm nicht das Geringste. Er hatte bedenkenlos zwei von ihnen ermordet und würde auch, ohne mit der Wimper zu zucken, noch weitere umbringen.
Auch die Wahrheit war ihm egal. Er hatte wieder und wieder gelogen.
Nein, die Antwort war ganz einfach: James Chilton war süchtig, genau wie manche Spieler von DimensionQuest und so viele andere, die sich in der synthetischen Welt verloren. Er war seinem messianischen Wahn verfallen. Er war abhängig von der verführerischen Macht, das Wort - sein Wort - zu predigen und in die Hirne und Herzen von Menschen in aller Welt zu pflanzen. Je mehr seine Überlegungen, seine Phrasen, seine Lobeshymnen gelesen wurden, desto ekstatischer war der Rausch.
Dance beugte sich bis dicht vor sein Gesicht. »James. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um dafür zu sorgen, dass Sie - in welches Gefängnis Sie auch kommen mögen - nie wieder online gehen können. Für den Rest Ihres Lebens.«
Er wurde leichenblass. »Das können Sie nicht tun!«, schrie er. »Sie dürfen mir mein Blog nicht wegnehmen. Meine Leser brauchen mich. Das Land braucht mich! Das dürfen Sie nicht!«
Dance schloss die Tür und nickte dem Deputy zu, der am Steuer des Wagens saß.
Kapitel 45
Die blinkenden Signalleuchten - ohne dienstlichen Grund - verstießen gegen die Vorschrift, aber Dance scherte sich nicht darum. Die Warnlichter einzuschalten war auf jeden Fall sehr sinnvoll gewesen, wenn man berücksichtigte, dass sie gerade mit dem Doppelten der erlaubten Höchstgeschwindigkeit auf dem Highway 68 von Hollister zurück nach Salinas raste. In zwanzig Minuten würde Edie Dances Anklagevernehmung beginnen, und Kathryn wollte in vorderster Reihe dabei sein.
Sie fragte sich, wann der Prozess gegen ihre Mutter stattfinden würde. Wer würde aussagen? Was genau würden die Beweise ergeben?
Und abermals dachte sie voller Entsetzen: Wird man mich in den Zeugenstand rufen?
Und was würde geschehen, falls man Edie für schuldig befand? Dance wusste, wie es in kalifornischen Gefängnissen aussah. Die Insassen waren überwiegend Analphabeten, gewalttätig, ihre Hirne durch Drogen, Alkohol oder schon von Geburt an beeinträchtigt. Kathryns Mutter würde in einer solchen Umgebung zugrunde gehen. Es wäre in jedem Fall eine Todesstrafe für sie - eine Todesstrafe für ihre Seele.
Dance war wütend auf sich, dass sie Bill diese E-Mail geschrieben hatte, in der sie von der Entscheidung ihrer Mutter berichtete, ein leidendes Haustier zu erlösen. Das alles lag schon Jahre zurück und war ein beiläufiger Kommentar gewesen, der in keinem Verhältnis zu den verheerenden Auswirkungen stand, die er nun auf Edies
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