Alma Mater
Buzz sie aufklären wird. Das Ganze ist furchtbar peinlich.«
»Aber komisch, Frank, das mußt du zugeben.« R. J. lachte.
»Tja, ich nehme an, Sex ist komisch, wenn er anderen passiert.« Er wurde wieder rot. Das Jonglieren mit zwei Geliebten forderte Vics Kreativität heraus. Charly, mit männlicher Kurzsichtigkeit gesegnet, wenn es um Frauen als Liebende ging, hatte keinen blassen Schimmer. Chris, die weitaus scharfsichtiger war, mutmaßte, daß Vic mit Charly schlief, hatte jedoch Angst zu fragen. Sie wußte, daß Vic ihr die Wahrheit sagen würde.
Wegen seiner abendlichen Ausgangssperre lud Vic Charly zu sich ein, wenn Chris Vorlesungen hatte und er nicht. Das ging nur Mittwochnachmittags, aber er beklagte sich nicht; er war ganz euphorisch, weil sie miteinander ins Bett gingen. Jede Nacht schlief Vic bei Chris oder umgekehrt. Sie konnten nicht voneinander lassen. Da sie unterschiedliche Kurse belegt hatten, sah man sie auf dem Campus selten zusammen. Außerhalb des Campus waren sie unzertrennlich.
Pflichtgetreu besuchte Vic die nächsten Football-Heimspiele; Jinx und Chris nahm sie mit. An den Wochenenden, an denen auswärts gespielt wurde, fuhr sie nach Hause. Sie hatte Geldsorgen, und mit denen lenkte sie ihre Gedanken von der Verwirrung wegen Chris und Charly ab. Mignon hatte einen Wachstumsschub und schoß fünf ganze Zentimeter in die Höhe. Sie sagte, ihr täten die Knochen weh vom Wachsen. Als der Oktober sich mit kristallklarem Himmel und beginnender Herbstfärbung entfaltete, gelangte Mignon zu größerer Reife. Die ganze Familie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Die Wallaces zankten sich, warfen aber keine Dachpfannen herunter, verschossen keine Schrotkugeln. Hojo färbte sich die roten Haare strohblond. Bunny nahm die Gründung des Gartenbaubetriebes mit bewährter Präzision in Angriff. R. J. machte Frank klar, daß er ihr alles überschreiben müsse. Er fügte sich und verfiel prompt in eine leichte Depression. Die Schwestern steckten das Terrain ab, wo sie Bäume und Sträucher für ihre Gärtnerei pflanzen wollten.
Die Tage blieben warm, die Nächte waren frisch, und mit jedem Tag wurde das Licht milder. Die Herbstfärbung erreichte in Surry County gewöhnlich Ende Oktober, Anfang November ihren Höhepunkt, und in diesen frühen Novembertagen zeigte sie sich besonders leuchtend.
In Williamsburg auf der anderen Seite des James drängten sich die Touristen. Der Campus des William and Mary College glühte in buttergelbem Licht, die Backsteine nahmen einen warmen Paprikaton an, die weißen Fensterrahmen und Türpfosten wirkten durch den Kontrast noch weißer. Jugendliche, die mit ihren Eltern umherspazierten, verliebten sich bei einem solchen Besuch oft in das William and Mary College. In ein paar Jahren würden sie wiederkommen, um hier zu studieren. Die gegenwärtigen Studenten schlenderten über den Innenhof und die Rasenflächen. Die mörderischen Prüfungen lagen in sicherer Ferne. Wie vor der Küste ankernde Schiffe würden sie für eine Weile nicht in den Hafen einlaufen. Ende Oktober und Anfang November waren die Menschen einfach glücklich, geradezu schwindelig vor Glück, und viele erklärten, dies sei die schönste Jahreszeit. Dasselbe sagten sie auch im frischen Frühling. Aber in den Gobelin des Herbstes waren neben den leuchtenden Rot-, flammenden Orange- und satten Kadmiumtönen auch ein paar melancholische Fäden eingewoben. Das Wissen vom kommenden Winter versüßte diese Jahreszeit.
Besinnliche Menschen oder solche, die alt genug waren, um sich zu erinnern, haben sich darüber Gedanken gemacht, daß die Menschen am Vorabend einer Katastrophe wie besessen feiern, sich hemmungslos paaren, in Champagner baden. Tagebücher und Briefe geben Zeugnis, daß die tollsten Feste in Virginia von 1859 bis 1863 gefeiert wurden. Das war irgendwie verständlich, genau wie die ausgelassene Fastnacht vor der Fastenzeit. Der Herbst brachte dieses Gefühl des Zuendegehens, der flüchtigen Schönheit mit sich.
Vic feierte keine Feste, sie feierte jeden Atemzug. Sie liebte den Herbstgeruch. Sie liebte es, wenn die Blätter sich bunt färbten. Sie liebte das leise Matschgeräusch des Grases unter ihren Füßen. Sie liebte es, nach Hause zu gehen, auf dem Fluß zu rudern, wenn das Wasser glänzend von den Rudern platschte. Sie liebte das William and Mary College mit der Inbrunst derer, die sich bald verabschieden mußten. Daß sie im letzten Studienjahr war, wurde
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