Almas Baby
Frau. Der Junkie auf der Inneren läuft uns schon nicht weg.“
Jeder Protest schien sinnlos. Alma kam es vor, als sei ihr Schicksal besiegelt. Sie stützte sich schwer auf den Arm des Polizeibeamten und hatte keine Ahnung, was werden würde.
„Zur Inneren geht es links rauf“, rief der Pförtner den Polizisten zu. Die winkten ihr Okay und konzentrierten sich auf ihren vermeintlichen Hilfseinsatz für Mutter und Kind. Hinter Almas Stirn arbeitete es fieberhaft. Was sollte sie nur tun? An der Drehtür angekommen, sah sie, wie gerade ein Auto vorfuhr. Sie reagierte blitzschnell: „Da ist mein Mann schon. Vielen Dank, ich komm jetzt allein klar. Sie riss sich vom Arm des einen Beamten los und zerrte am Tragegriff der Babytasche, bis der andere Polizist ihn freigab. Dann stürmte sie im letzten Augenblick in die sich zufällig gerade drehende Tür. Fast hätte sie die Babytasche eingeklemmt. Als sie kurz zurückblickte, sah sie noch, wie die beiden Männer den Kopf schüttelten. Sie stürmte weiter auf den fremden Wagen zu und riss in heller Verzweiflung die Beifahrertür auf. In dem Moment sah sie durch die Glastür, wie die Polizisten sich abwandten und durchs Foyer wieder auf die Treppe zugingen.
„Entschuldigung“, sagte Alma erleichtert zu dem ihr unbekannten Autofahrer. „Entschuldigung. Ich habe mich geirrt. Ich dachte, es wäre unser Auto.“ Und dann schlug sie die Wagentür zu und ging rasch davon. Es war noch einmal alles gut gegangen.
Als Berthold Behrend an jenem bedeutungsvollen Tag gegen 17.30 Uhr vom Dienst nach Hause kam, fand er zu seiner Überraschung eine strahlende Alma mit dem Baby vor: „Darf ich dir Marie vorstellen. Marie, hier ist dein stolzer Papa.“
Er konnte kaum glauben, was er da sah. „Um Himmelswillen, geht es dir gut? Warum hast du denn nicht aus dem Krankenhaus angerufen?“
„Dazu bin ich gar nicht mehr gekommen. Alles kam so überraschend. Und außerdem wollte ich dir einfach beweisen, dass ich auch allein etwas zustande bringe.“
Berthold legte den Arm um seine Frau und beugte sich über das Kinderbettchen. „Du meine Güte, ist denn auch alles in Ordnung mit dem Kind und mit dir?“
„Natürlich. Alles okay. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“ Aber genau in diesem Augenblick begann Marie zu schreien - so als wollte sie Alma Lügen strafen. Sie schrie laut und jämmerlich. „Das Kind wird Hunger haben“, meinte Berthold, „du wirst es doch sicher stillen wollen.“
Bei Alma keimte Ärger auf. Was bildete er sich ein? War es nicht genug, dass sie ihm ein Kind geschenkt hatte? Musste er sich jetzt auch noch einmischen in etwas, was reine Frauensache war?
„Es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen“, sagte sie mit scharfem Unterton. „Stillen ist nicht drin. Ich habe keine Milch. Vermutlich, weil ich ein Junkie bin. Ihre Verbitterung war nicht zu überhören.
„Unsinn“, beeilte sich Berthold zu versichern, „erstens bist du schon längst kein Junkie mehr, und zweitens passiert das auch anderen Frauen.“
„Einmal Junkie, immer Junkie. Das hast du selbst gesagt,“ giftete Alma.
„Du liebe Zeit. Eine dumme Bemerkung im Zorn und aus Enttäuschung. Wie du weißt, habe ich das schon zigmal bereut und mich entschuldigt. Warum kannst du mir nicht verzeihen? Gerade jetzt sollten wir alles vergessen, was uns bisher belastet hat. Marie ist da. Nur das zählt.“
Ja, nur das zählte, sicherte jene Normalität, ohne die eine Familie nicht existieren kann. Aber das Kind machte es ihnen nicht leicht. Marie verweigerte konsequent die Flasche mit der Babynahrung, die Alma bereits vorausschauend besorgt hatte. Doch das Baby schrie nur, schrie einfach weiter. Kläglich und ausdauernd. Die ganze Nacht.
„Vielleicht hättet ihr doch besser im Krankenhaus bleiben sollen. Auf jeden Fall musst du mit dem Kind zum Arzt, gleich heute früh,“ stellte Berthold fest. Alma drückte den Kopf in die Kissen und unterdrückte ihr Schluchzen. Ihre Verzweiflung nahm von Stunde zu Stunde zu. Sie hatte sich das alles viel einfacher vorgestellt. Dabei hätte sie’s wissen müssen: Es ging eben selten alles glatt. Vor allem nicht, wenn man zu zweit war. Es konnte nämlich immer nur einer seine Träume ausleben. Das Schlimmste, was der andere tun konnte, war, diese Träume zu seinen eigenen zu machen. Dieses Kind konnte nicht Bertholds Kind werden. Er würde nicht locker lassen, bis er seinen eigenen Traum zerstört hätte. Er redete bereits von Vorsorgeuntersuchungen,
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