Almas Baby
Krankenversicherungen und Geburtsurkunden. Warum konnte er sich nicht raushalten? Nein, nicht er. Er war schließlich Beamter und bei einem Beamten musste alles nach festgelegten Regeln korrekt ablaufen. Er würde keine Ruhe geben. Sie musste weg - mit Marie. Sonst würde auch sie das Kind verlieren, für das sie so viel riskiert hatte.
Und dann war da am nächsten Morgen noch die Alte! Scheußlich das Geräusch, als ihr Kopf immer wieder auf die Stufen schlug. Aber was musste sie sich auch einmischen? Bestimmt war ihr nichts Ernsthaftes passiert. Vielleicht lag sie inzwischen längst wohl versorgt in einem Krankenhaus - mit einer Gehirnerschütterung. Höchstens. Und wenn doch mehr passiert ist? Sie war immer so nett und hilfsbereit. Sicherlich wollte sie auch diesmal nur freundlich sein. Einsame Menschen kümmern sich gern um andere Leute. Und einsam war die alte Judith bestimmt. Vielleicht hätte man mehr Kontakt zu ihr halten sollen. Und nun? Wenn es nun endgültig zu spät war? Alma wollte nicht daran denken. Nicht jetzt. Eine alte Frau, die ihr Leben gelebt hatte. Sobald Alma ihre eigene Angelegenheit geordnet hatte, würde sie diese alte Frau besuchen. Sie würde ihr sagen, wie leid ihr das alles tue. Sich kümmern eben. Aber zunächst war erst einmal Alma dran. Irgendwann hat jeder Anspruch auf ein bisschen Glück. Aber gab es denn ein Glück für sie - ohne Berthold? Warum stellten sich ihr nur alle Leute in den Weg? Sie wollte doch nur, dass sie sich raushielten, sich um ihre eigene Angelegenheiten scherten.
Aber offensichtlich hatte sich jeder vorgenommen, Almas Pläne zu vereiteln. Nun hatte sie schon zum zweiten Mal kein Zuhause mehr. Genau wie damals, als ihre Eltern sie rausgeworfen hatten. Sie stand wieder auf der Straße - und das mit einem Säugling. Aber wenigstens kein Junkie mehr. Und auch keine Nutte.
Wovon sollte sie leben? Wie das Kind durchbringen? Sie wollte nicht darüber nachdenken - konnte nicht.
Inzwischen war es schon Nachmittag geworden. Sie musste ein Quartier für die Nacht finden - und dann wohl oder übel überlegen, wie es weitergehen sollte. Vorübergehend könnte sie vielleicht in der Schrebergartenlaube ihrer Eltern unterkriechen. Unter der Voraussetzung, dass der Schlüssel noch wie früher unter der Regentonne lag. Und falls ihr Vater nicht drinnen auf dem durchgesessenen Sofa hockte, um in Ruhe saufen zu können. Er würde keinen Junkie in seiner Nähe dulden. Für ihn galt eben auch, was Berthold einmal gemeint hatte: Einmal Junkie, immer Junkie. Auch wenn es sich um seine Tochter handelte.
Zum Glück musste er Alma auch nicht in seiner Laube dulden, denn er war gar nicht da. Der Dunst, der aus jeder Menge leerer Schnapsflaschen aufstieg, hatte sich mit kaltem Zigarettenrauch gemischt. Ekelhaft. Und bestimmt auch nicht gesund fürs Baby. Aber Alma traute sich nicht, die Fenster aufzureißen. Gerade in Schrebergärten haben sogar die Hecken Ohren. Dem Nachbarn entgeht nicht, was sich auf der Parzelle nebenan tut. Gemeinschaftsgefühl nennen sie das. Alma kennt das. Immer, wenn sie hier früher mal Schutz vor Regen oder Ruhe nach dem Druck gesucht hatte, fuhr kurz darauf ein Peterwagen vor. Junkies sind hier nicht genehm. Sie hatte den Bullen damals nie freiwillig erzählt, dass sie hier quasi Hausrecht hatte, weil es sich um die Laube ihrer Eltern handele. Wieso auch? Selbst ihre Eltern hätten sie in dieser Spießbürger-Idylle nicht geduldet. Also ließ sie sich ohne Protest jedes Mal mitnehmen. Wie viele Nächte hatte sie auf diese Weise wohl schon auf Polizeiwachen verbracht?
Nun war sie jahrelang nicht mehr hier gewesen. In ihrem neuen Leben hatte sie auch ihre Eltern nicht besucht. Die wollten in ihrem alten nie eine Rolle spielen, warum sollten sie das nun in ihrem neuen tun? Da passten sie noch weniger hinein als ihre Schwiegermutter. Almas neues Leben, das war nur Berthold. Und jetzt auch noch Marie. Sie setzte sich auf das alte Sofa, wiegt das weinende Baby im Arm und flüstert ihm zärtliche Albernheiten ins Ohr. Und dann herrschte plötzlich Ruhe. Alma legt den Kopf erschöpft gegen die hohe Rückenlehne des altmodischen Polstermöbels. Es roch muffig, aber das störte sie jetzt nicht weiter. Minuten später war sie eingeschlafen. Im Arm das Kind einer fremden Frau, von der sie nichts wusste und nichts wissen wollte.
Kapitel 8
Die Anzahl der Dienstjahre, in denen Hammer-Charly Erfahrungen mit der dunklen Seite des Lebens sammeln musste, ließen sich nicht
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