Almas Baby
Schlüssel für ihre Tat“, stellte Zarah Silbermann fest.
„Wo? Ausgerechnet in diesem verkorksten Elternhaus, wo sich niemand auch nur einen Deut um sie schert?“, konterte Volker Lauer ungläubig.
„Genau. Der Heidelberger Psychoanalytiker Dr. Fridtjov Schaeffer nennt so etwas pathologische Treue. Es gibt Menschen, die fühlen sich in selbstquälerischer Art gerade zu denen hingezogen, die sie besonders schlecht behandeln. Sie wollen es ihnen recht machen, finden Entschuldigungen für deren Verhalten. Das geht am Ende so weit, dass sie selbst die größten Brutalitäten für richtig halten und sich selbst als verachtenswerte Schwächlinge einschätzen,“ erläuterte Zarah.
„Alles gut und schön, aber Alma hat nach Auskunft ihres Ehemannes ihre Eltern abgelehnt, und der muss es schließlich wissen“, wandte Charly ein.
„Das heißt nichts. Sie kann deren Weltbild trotzdem für sich adaptiert haben. Das kommt immer dann vor, wenn der eigene Lebensweg objektiv allen Konventionen zuwider gelaufen ist. Ihr eigenes Dasein als Junkie kann Alma nur verabscheuen. Jeder Süchtige steht auf der untersten Stufe jeglicher gesellschaftlicher Konvention. Und das weiß er auch. Der sieht ja selbst, dass er im Dreck lebt und langsam selbst zu Dreck wird. Also kann Alma nicht umhin, die Einstellung ihrer Eltern dem eigenen Versagen vorzuziehen. Das heißt nicht unbedingt, dass sie ihre Eltern liebt. Mag sein, dass sie sie nicht einmal akzeptiert. Aber sie erkennt unterschwellig an, dass deren Art zu leben, der ihren in der Vergangenheit zumindest in der Einschätzung der Öffentlichkeit vorzuziehen war.“
Hammer-Charly schenkte sich den Rest aus der Kaffeekanne nach und orderte Nachschub bei Häschen. „Einleuchtend“, sagte er nachdenklich, „aber das gilt doch nur für die Vergangenheit. Alma ist clean, mit einem Beamten verheiratet und lebt heute in ganz anderen Verhältnissen.“
„Schon, aber seine Vergangenheit kann eben nicht jeder so leicht abschütteln. Ich könnte mir vorstellen, dass es auch für den Ehemann nicht einfach ist, damit umzugehen. Theoretisch darüber zu philosophieren, dass ein rehabilitierter Junkie eben kein Junkie mehr ist, sondern ein Mensch wie jeder andere, ist die eine Seite. Danach zu leben, die andere. Vielleicht hat dieses Thema in der Ehe der beiden ja eine viel größere Rolle gespielt, als wir annehmen,“ gab Zarah zu bedenken. „Menschen mit einer Sozialisation wie diese Alma sind manchmal davon beseelt, ihre destruktive Vergangenheit gegen eine heile Welt einzutauschen. Das kann sogar wahnhafte Formen annehmen. Und dann setzen sie alles daran, ihre kruden Vorstellungen zu realisieren. Vor Gericht wird so etwas leicht mit krimineller Energie gleichgesetzt. Ist es aber nicht. Es entspringt lediglich dem tiefen Bedürfnis, so zu sein wie alle anderen. Alltäglichkeit. Das ist es, was sie anstreben. Und dazu bedienen sich Menschen, denen das nicht gelingt - oder die jedenfalls glauben, dass sie dazu nicht fähig wären - abstruserweise Methoden, die alles andere als alltäglich sind, die meilenweit von der Norm abweichen. Sie geben praktisch ihre Identität auf. Übrigens: Ihr kennt doch bestimmt das Märchen vom Rumpelstilzchen. Ist Rumpelstilzchen wirklich böse, weil es das Kind der Königin holen will? Ist es nicht. Erziehungswissenschaftler an der Uni Hamburg haben sich mit dieser Frage beschäftigt und sie beantwortet. Sie behaupten, Rumpelstilzchen wollte einfach nur geliebt werden.“
„Klasse Vorlesung“, kommentierte Volker Lauer, „dann soll es wohl nur ein Kavaliersdelikt sein, einer Mutter ihr Kind wegzunehmen. Ich sehe noch nicht, wie wir aus diesem Stroh Gold spinnen können.“
Hammer-Charly wollte aufbrausen, aber Zarah kam ihm zuvor: „Gute Frage, aber beantworten kann ich sie nicht. Ich bin nur dazu da, euch das Futter zu liefern, auf dem ihr schon selbst herumkauen müsst. Meine Aufgabe ist es nicht, Täter zu fangen, sondern ein Profil von ihnen zu erstellen. Das ist aber in diesem Fall gar nicht nötig, denn wenn ich euch richtig verstanden habe, glaubt ihr doch bereits zu wissen, wer die Täterin ist oder wenigstens sein könnte. Also bleibt mir nur, euch aufzuzeigen, warum sie so handelt, wie sie es vermutlich getan hat oder was sie noch tun wird. Das könnte uns unter Umständen in die Lage versetzen, ihren nächsten Schritten zuvorzukommen. Und das wiederum könnte wichtig für das Leben des Babys sein.“
„Glaubst du, dass sie dem Kind
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