Almas Baby
aus Neid auf die wahre Mutter etwas antun wird? Dass es ihr nur darauf ankommt, bewusst das Glück anderer zu zerstören?“, fragte Charly nervös.
„Nein. Ich bin überzeugt, dass sie dieses Kind für sich will. Das Baby ist für sie die Manifestation des Bürgerlichen. Aber es gibt viele Möglichkeiten, wie ein Neugeborenes zu Schaden kommen kann. Wer weiß, wo die Ersatzmutter mit dem Baby unterkriechen musste. Ich denke mal, sie wird in ihrem Asyl kaum ideale hygienische Bedingungen vorfinden. Außerdem ist sie unerfahren. Sie muss Babynahrung und Windeln besorgen und das alles unter dem Druck, auf jeden Fall unerkannt zu bleiben. Das kostet Zeit. Lässt sie den Säugling währenddessen unbeaufsichtigt? Wir wissen es nicht, denn wir wissen nicht, was für ein Mensch sie ist.“
„Sie nennen sie Ersatzmutter,“ versuchte Volker Lauer den Faden weiter zu spinnen. „Fühlt sie sich ihrer Meinung nach als Ersatz oder hält sie sich für die richtige Mutter?“
„Wer ist eine richtige Mutter? Nur die Frau, die das Kind auch zur Welt gebracht hat oder vielmehr diejenige, die es aufzieht und ihm alles gibt, was es braucht? Bert Brecht hat im Kaukasischen Kreidekreis die These aufgestellt, dass die Kinder den Mütterlichen gehören sollen. Und die Mütterlichen sind seiner Vorstellung nach diejenigen, die genau wissen, was für ein Kind das Beste ist.“
„Und diese Mütterliche ist in diesem Fall Alma Behrend? Wollen Sie das behaupten? Und wenn ja, was ist dann mit Katja Storm?“ Volker Lauer geriet langsam in Rage.
„Ich will keineswegs behaupten, dass Alma Behrend die bessere Mutter ist. Es könnte allerdings sein, dass sie sich selbst dafür hält. Wahrscheinlicher kommt mir allerdings vor, dass sie den Gedanken an die leibliche Mutter des Babys verdrängt, ihn nicht zulassen will, weil damit ihre eigene Hoffnung auf eine intakte Familie gescheitert wäre.“
Volker Lauer war anzumerken, dass er die Diskussion für Zeitverschwendung hielt. Hammer-Charly dagegen, der Zarah Silbermanns Arbeitsmethoden und vor allem ihre Verdienste bei der Aufklärung zahlreicher Fälle kannte, spürte die Nervosität seines Stellvertreters und besann sich auf die ursprüngliche Fragestellung, die ihn bewogen hatte, Zarah Silbermann einzuschalten. Er bat die erfahrene Psychiaterin, ihnen etwas über psychische Störungen in Bezug auf reale und eingebildete Schwangerschaften zu erzählen. Zarah schenkte sich Kaffee nach und setzte zu einem neuen Diskurs an. Diesmal konnte sie sich allerdings auch Volker Lauers Aufmerksamkeit sichern. Sie erläuterte die Unterschiede zwischen einer Scheinschwangerschaft und einer vorgetäuschten Schwangerschaft. Letztere - so Zarah - sei mit den heutigen diagnostischen Mitteln sehr schnell zu durchschauen. Das gelte zwar auch für die Scheinschwangerschaft, aber immerhin gehe die einher mit allen Anzeichen, die auch für eine reale Schwangerschaft gelten, sodass sie zwar medizinisch rasch als bloßer Schwangerschaftswahn diagnostiziert werden könnten, aber für einen Laien eben nicht als bloßer Schein zu erkennen seien. „Das würde auch erklären,“ warf Lauer ein, „dass Berthold Behrend felsenfest von der Schwangerschaft seiner Frau überzeugt ist, obwohl es die offensichtlich gar nicht gab.“
„Möglich,“ stimmte Zarah zu. „Allerdings passt das nicht ganz ins Bild einer Kindesentziehung aus vergeblichem Kinderwunsch heraus. Eine Scheinschwangere glaubt ja selbst fest daran, schwanger zu sein. Sie würde also ruhig die Geburt abwarten. Hier scheint es aber, als habe Alma Behrend genau gewusst, dass diese Geburt niemals stattfinden könnte und in diesem Sinne alle Vorkehrungen getroffen. Gerade so, als könne sie nur durch ihre Willenskraft trotzdem möglich machen, was nicht möglich war. Denkt nur daran, dass sie ihrem Mann sogar eine Ultraschallaufnahme vorgelegt hat.“
„Alles Lug und Trug also und das ganz bewusst. Und da soll man nicht von krimineller Energie reden?“ Volker Lauer zeigte sich empört. Zarah versuchte, ihn zu besänftigen: „Vorsicht, die Psyche einer Frau, die sich, aus welchem Grund auch immer, verzweifelt ein Kind wünscht, lässt sich nicht so einfach erfassen. Es gibt Mischformen. Vor allem, wenn - wie offensichtlich in diesem Fall - die psychosoziale Störung die hormonelle überlagert. Alma Behrend geht es vermutlich gar nicht ausschließlich um das Kind. Es ist die Mutterrolle, in der sie die eigene Existenzberechtigung sieht. Sie will sie
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