Alpengrollen: Kriminalroman
glaube, ich muss dieses Teil hier unbedingt mal anprobieren. Wozu arbeitet man denn schließlich so hart? Stimmt’s?« Sie versicherte sich kurz Annelieses ermunterndem Blick. Dann verschwand sie eilig hinter dem grauen Vorhang in der Ecke gegenüber dem Kassentisch.
Als sie wieder herauskam, drehte sie sich mindestens 20 Mal mit kritisch prüfenden Blicken vor dem Spiegel. »Du, ich glaube, die nehme ich, Annie. Die ist ja nur noch geil. Total super geschnitten. Süß, oder?«
»Total süß, Moni. Du, schau doch mal. Wie findest du denn die hier?« Anneliese war gerade zwischen einem knallroten Jette-Joop-T-Shirt und einem superwitzigen, orangefarbenen, leichten Wollpulli von Gucci hin- und hergerissen. Sie hielt sich beides abwechselnd vor den Oberkörper.
»Scharf, Annie. Total scharf. Musst du unbedingt nehmen.« Monika hatte nur einen ganz kurzen Blick für ihre Freundin übrig, weil sie gerade auch noch eine quietschgelbe Weste von Stefano Pilati, dem aktuellen Designer bei Yves Saint Laurent, entdeckt hatte.
»Die haben die tollsten Sachen hier. Ich könnte glatt den ganzen Laden leer kaufen. Mach ich aber, glaube ich, besser doch nicht.« Anneliese, die von Bernhard außer seinen großzügigen Unterhaltszahlungen bei der Scheidung noch eine Abfindung im sechsstelligen Bereich zusätzlich zum ehemals gemeinsamen Haus bekommen hatte, hätte sich wohl so einiges leisten können. Aber letztlich musste auch sie umsichtig mit ihrer Barschaft umgehen, so ganz ohne eigenes Einkommen. Man weiß ja nie, was noch so kommt, sagte sie sich immer. Gerade in den heutigen unsicheren Zeiten. Monika war mit ihrer Jeans von Versace und der quietschgelben Weste von Stefano Pilati ebenfalls höchst zufrieden. Natürlich hätte sie auch noch weitermachen können bis in die Puppen. Aber man soll nicht zu gierig sein, heißt es ja immer. Also ab zur Kasse, Karten gezückt und nichts wie wieder raus aus dem verführerischen Klamottenparadies. Jetzt war es höchste Zeit für einen schönen Kaffee. Und ein feines Stück Kuchen durfte natürlich nicht fehlen. Aber bitte mit Sahne.
7
»Ja, leck mich doch am Arsch. Ist das geil! Juchhe!« Max war in seinem Element. Es staubte nur so um ihn herum, als er gerade in großzügigen Bögen ganz alleine einen sehr steilen Tiefschneehang
in der Gipfelregion nahe Kitzbühel hinunterschwang. Endlich war er für einen Moment wieder einmal der freie, unbelastete Junge von früher. Ohne Verpflichtungen. Ohne Verantwortung für andere.
»Vorsicht, da vorn! Der Raintaler kommt!« Übermütig sprang er von einer abfallenden Felskante auf die offiziell ausgeschilderte schwarze Abfahrt zurück. Natürlich nicht, ohne vorher zu schauen, ob jemand unter ihm fuhr. Schließlich war er ein bestens ausgebildeter Skiläufer, kein Pistenrambo. Freie Fahrt, Sonnenschein und Pulverschnee. So muss es sein und nicht anders. Er grinste zufrieden.
Schau dir doch nur dieses unglaublich schöne Kaiserwetter über dem Kaisergebirge an, jubelte er innerlich. Bei der Herfahrt hatte er noch gedacht, er würde den ganzen Tag lang im Hotel herumhängen müssen, weil das Wetter so nass und wolkenverhangen gewesen war. Und jetzt das hier. Großartig.
Er konnte sich noch genau daran erinnern, wie er seinen ersten wirklich steilen Hang gefahren war. Es hatte ihn damals alle Überwindung gekostet. Er hätte sich vor Angst fast in die Hosen gemacht. Doch als er unten angekommen war, hatte er nichts anderes als grenzenloses Glück und Stolz empfunden.
Und dann sein erstes offizielles Rennen! Sein Puls hatte im Starthäuschen bestimmt Tempo 200 drauf gehabt. Irgendein Rennläufer meinte einmal, dass du bei jedem Skirennen erst dein Herz den Hang hinunterwerfen und ihm anschließend hinterherfahren musst. Genau das hatte er versucht und war gleich auf einen sensationellen zweiten Platz vorgefahren. Der Pokal, den er dafür bekam, stand heute ganz links auf Tante Isoldes Sideboard.
Jetzt ließ er sich gerade zum zehnten Mal von einem schnellen neuen Schlepplift zum Gipfel bringen. Eine kleine Pause wird mir sicher guttun, bevor ich mich noch überanstrenge, überlegte er, als er wieder in Richtung Tal sauste. Da war er wieder, der bedenkentragende Hypochonder in ihm. Und schon hielt er auf die nächste Hütte zu, vor der sich die Menschenmassen versammelt hatten. Allesamt in bunte Bobonfarben gekleidet. Die Einsamkeit der Berge suchte man in einem solchen Touristengebiet natürlich vergeblich. Das wusste Max schon lange.
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