Alpenkasper
ging joggen und duschte. Es war sieben. Das Geld war immer noch nicht auf dem Konto, er kaufte Semmeln und Brezen und besuchte Katharina. Er betrat leise die Wohnung und fand erneut niemanden vor. Die Wohnung war verlassen, das Schlafzimmer leer – sie hatte die Nacht nicht hier verbracht. Auf dem Küchentisch standen zwei leere Weizenflaschen, in der Spüle ein benutztes Glas. Er schmierte sich eine Butterbreze und fuhr Katharinas Rechner hoch. Auf dem Desktop fand er einen neuen Ordner »Überraschung« und das heutige Datum. Wieder Fotos mit Katharina, wie sie auf dem Sofa schlief, wie sie in der Küche stand und kochte. Und dann eines mit ihm, Jakob: Er stand auf dem Gang und hielt die Klinke des Badezimmers in der Hand, das nächste und letzte zeigte ihn an diesem Computer sitzend mit dem Rücken zum Fotografen. Er drehte sich langsam um und ging in die Ecke des Zimmers, aus der das Foto aufgenommen worden sein musste. Da stand eine Regalwand mit Büchern, hauptsächlich Romane, die in den vergangenen Jahren in den Bestseller-Listen zu finden waren. Jakob räumte das Regal leer. Hinter den Büchern war nichts, auch kein Loch in der Regalrückwand. Er verschob den Bilderordner wieder auf seinen Stick und fuhr den Computer runter. Im Gang fand er nirgends – nicht im Telefonschränkchen, nicht hinter dem Kalender und auch nicht am Türöffner – irgendetwas, womit man fotografieren konnte. Das Schlafzimmer durchwühlte er gründlich, wendete jede einzelne Unterhose Katharinas in seiner Hand, roch dran, öffnete die Abdeckung des kleinen Fernsehers und bekam sie um ein Haar nicht mehr drauf, doch auch hier keine Kameras. Er kroch über den Boden unter dem Bett, leuchtete mit dem Display seines Handys auch an die dunklen Stellen. Er ging zurück ins Wohnzimmer und es war ihm plötzlich klar. Das Vieh starrte ihn wieder völlig unbewegt an. Er hob den Deckel des Terrariums und die Bartagame begann schrecklich zu fauchen und ihren Kragen zu stellen, in ihren Augen brannte Feuer, das drohte, Jakob bei der nächsten Bewegung zu verbrennen. Jakob hatte keine Angst vor dem kleinen Tier. Falls es ihm in die Wunde spuckte, könnte sie sich entzünden und Jakob am Fieber verrecken. Jakob griff in das Terrarium, da war was hinter einem Stein, unter einem Blatt. Die Bartagame würde ihren Wohnraum verteidigen. Sie fauchte und setzte an zum Sprung.
In die Wohnungstür wurde ein Schlüssel von außen gesteckt. Jakob sprang auf und trat auf den Gang. Der Schlüssel wurde wieder zurückgezogen, vor der Tür entfernten sich eilige Schritte. Ohne in die Schuhe zu schlüpfen, die er vor dem Schlafzimmer ausgezogen hatte, hastete Jakob in den Hausgang, wo er hören konnte, wie unten die Haustür ins Schloss fiel. Er rannte runter und auf die Straße und trat in den erwachenden Pferseer Morgen. Menschen an der Straßenbahnhaltestelle, Menschen, die vom Bäcker kamen, Menschen, die reingingen. Keiner blickte begeistert in den zu durchstehenden Tag, keiner hetzte, keiner lachte. Jakob inspizierte die Szenerie vier Mal von rechts nach links, von oben nach unten: Es gab nichts Verdächtiges, nichts was sich zu verfolgen lohnte. Hinter ihm kam eine Frau zur Tür heraus und grüßte ihn mit einem knappen »Morgen«. Sie nahm das Fehlen der Schuhe an seinen Füßen abschätzig zur Kenntnis. Jakob trottete wieder hoch. Er wählte Katharinas Nummer, hinter ihm auf dem Wohnzimmerschrank, den er nicht durchsucht hatte, ertönte ›Love is in the air‹ und ein Handy vibrierte. Er nahm es und drückte auf ›Anruf nicht annehmen‹. Außer dem entgangenen Anruf war noch eine Kurzmitteilung eingetroffen. Jakob gestattete es sich, sie zu öffnen. »Servus katharina heute abend zeig ich dir bilder auf meinem laptop die dich heiß werden lassen dein jakob« Die angezeigte Nummer war nicht seine. Jakob löschte die SMS und legte das Handy zurück auf seinen Platz. An seinem rechten Unterarm quoll durch den Verband hindurch Blut und Eiter. Es schmerzte. Er machte sich auf die Suche nach einem Arzt, der um die Zeit einen Patienten zwischenrein schieben konnte.
Gerichtsmedizin
»Ein bisschen Zeit müssen Sie mir schon lassen. Ich komme auch erst rein. Wenn es schneller gehen soll, dann müsst ihr uns halt ein paar Leute mehr zahlen, anstatt uns zu schließen«, maulte der Gerichtsmediziner Trimalchio an. »Ich weiß, dass Sie nichts dafür können. Nix für ungut. Ein Institut nach dem anderen sperren sie zu. Wir sind die ersten, an denen
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