Alpenkasper
gestaucht.« Er zückte eine Präpariernadel. »Sehen Sie, die Wirbel sind oben aufgesprengt. Hier im Hals, das sind Gewebeteile, die hier nicht reingehören. Das Graue ist wieder Hirn und hier im Kehlkopfdeckel steckt ein Teil vom Schneidezahn. Sieht lustig aus, nicht? Die Verletzungen an der Brust, kommen von innen. Da sind vom Druck Wirbel gebrochen und haben den Brustkorb von innen aufgeschlitzt. Ich nehme an, er hat einen Teil von dem Material geschluckt, allerdings unbewusst. Wahrscheinlich wurde der gute Mann mechanisch betäubt, bevor man ihm die Ladung verpasst hat. Der wusste normalerweise, was er zu sich nimmt; wenn ich mir den Bauch anschaue, hat er gern geschluckt. Na ja, ist jedem seine eigene Sache. Fressen, saufen, verrecken. Das ist ein erfülltes Leben, leck mich. Gehen wir wieder raus. Wir haben beide nichts davon, wenn Sie mir hier reinreihern. Immer dasselbe. Ich verstehe nicht, wie man sich so volllaufen lassen kann, wenn man weiß, dass man einen Termin hier unten hat. Wir sind doch nicht der Botanische Garten. Das dürfte sich doch inzwischen rumgesprochen haben.«
Trimalchio nickte unterwürfig. Im Brotzeitraum nippte der Pathologe an seinem Kaffee und streifte sich anschließend die Handschuhe ab. Sie landeten auf dem Lokalteil der Zeitung. »Da. Die schreiben einen Scheiß zusammen: Opfer eines Raubüberfalls. Brutal erschlagen. Meinetwegen. Und dann diese kleinen Artikelchen, die sie neuerdings bringen. Da musst du dauernd mit den Augen hupfen beim Lesen, als ob wir alle Analphabeten wären. Ich bestelle mir die bald ab. Dann bringe ich Romane in die Mittagspause mit. Kann ich noch was für Sie tun? Sie sehen schlecht aus. Der Kater schlägt zu. Ich hole Ihnen eine Cola aus dem Automaten.«
»Nicht nötig. Ich gehe an die frische Luft. Das wird helfen.«
Tanja erwartete ihn. »War es schlimm?«
»Krass. Drehen wir unsere Runde.«
»Wo fangen wir an?«
»Ich schlage die Kantine vor. Von dort arbeiten wir uns das Theaterhaus nach oben bis zum Intendanten. Ich freue mich schon auf den Beziehungssalat, den wir durchzuarbeiten haben.«
Nachgespräch
Der Arzt war richtig ungehalten, weil Jakob die Tollwut-Impfung ablehnte. Er wollte ihn zuerst nicht aus der Praxis lassen in dem Zustand. Jakob beteuerte, dass er Opfer eines Kampfhundes sei und das Tier kontrolliert gehalten werde. Der Arzt riet ihm, zur Polizei zu gehen. Jakob beruhigte ihn, das sei schon längst geschehen.
»Das gefällt mir gar nicht, das gefällt mir gar nicht. Wieso sind Sie nicht in die Notaufnahme?«
»Das sah abends noch gar nicht so wild aus«, beteuerte Jakob.
»Tetanus haben Sie?«
»Ich denke schon. Das hat doch jeder.«
»Ich haue Ihnen eine rein. Sicher ist sicher.« Er eilte zum Kühlschrank in seinem Behandlungszimmer. »Das Schlimme sind nicht die Hunde, das Schlimme sind die Besitzer, die haben alle einen Komplex. Ich ließe die alle einen Hundehalterschein machen und anständig dafür blechen. Das Tier gehört aber nicht Ihnen?«
»Nein, nicht einmal einem guten Bekannten.«
»Anzeige. Worauf warten Sie?«
»Ich bin schon unterwegs.«
Jakob ging auf dem Nachhauseweg am Theater vorbei. Die zehn Euro Praxisgebühr hatten seinen Reichtum wieder erheblich geschmälert. Das Theater war in der vergangenen Woche immer wieder für eine Geschichte gut gewesen. Jetzt fehlte ihm sein wichtigster Kontaktmann im Haus. Von Moni besaß er keine Nummer. Nach zwei Minuten Lungern setzte er seinen Heimweg fort.
Beim Tee wollte er als erstes seinen Kontostand überprüfen und feststellen, wie dringend eine gute Idee war. Es klingelte. An der Tür stand der kleine Nazi Oliver. Er grinste blöde. »Darf ich rein?«
»Ungern.«
»Ich mache nichts kaputt, ich suche Hilfe.«
Jakob drehte sich zur Seite, der Junge ging in die Küche.
»Tee?«
»Ich weiß nicht, wie lange ich bleibe.« Er setzte sich, Jakob schenkte ihm ein.
»Woher weißt du, wo ich wohne?«
»Ich bin dir vom Theater hierher gefolgt.«
»Woher wusstest du, dass ich am Theater vorbei komme?«
»Das war vielleicht Zufall.«
»Was hast du im Theater getrieben?«
»Ich bekomme demnächst eine Rolle in einem Stück.«
Die Antwort brachte Jakob zum Lachen, Oliver reagierte sauer: »Alle lachen sie, wenn ich ihnen das erzähle. Wieso soll ich keine Rolle in einem Theater spielen dürfen? Weil ich nicht studiert habe? Weil ich nicht sprechen kann wie ein echter Schauspieler? Ich sag dir, Alter, ich habe Potenzial. Und das sage nicht nur ich,
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