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Alpenlust

Alpenlust

Titel: Alpenlust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Spatz
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den Großen mit dem Bart – wie lächerlich: der Große mit dem Bart – öfter dort gesehen zu haben, im Laden und auf den Straßen. Er patrouillierte regelrecht dort, hatte keine festen Uhrzeiten, aber immer bei Tag – der Große mit dem Bart –, als ob er keinen festen Platz zum Arbeiten hätte. Aber das hatte er auch nicht nötig, er spähte ja nur Opfer aus und kontrollierte, ob die Luft rein war. Und er war häufiger zu sehen in letzter Zeit, der Große mit dem Bart, in dem war die Gier wieder erwacht, der wollte frisches Fleisch, eindeutig.
    Jedem Hinweis aus der Bevölkerung musste nachgegangen werden; man versuchte, an jedem dünnen Nagel einen Plan aufzuhängen. Die bildeten sich alle was ein, die sahen zwar durchweg Gespenster, aber es musste trotzdem gehandelt werden, mit einem Lockvogel. Lächerlich, wie im Kriminalroman. Aber bitte.

     

     

7. Gräber
    Sie kann sich schön machen, dachte Birne und fand es schade, dass sie es sich so selten leistete. Sie konnten alle etwas aus sich machen, irgendwie, alle waren sie schön, die Menschen, mussten nur herausfinden, wie das am besten anzustellen war. Birne konnte auch schön sein, wenn er wollte. Birne wollte aber, dass man seine Schönheit erst auf den zweiten Blick entdeckte, denn für Menschen, denen er den zweiten Blick nicht wert war, wollte er gar nicht schön sein, für die wollte er mit der Umgebung, durch die er ging, verschmelzen.
    Tanja war für jeden, der es sehen wollte und konnte, nun auf den ersten Blick schön. Birne hatte einen zweiten Blick schon riskiert.
    Sie hatten einen Weg ausgemacht. Sie sollte die Straßenbahn nehmen. Straßenbahn war unauffällig, da konnte einer wie Birne ein paar Reihen weiter hinten sitzen, ohne aufzufallen. Nichtauffallen lag sowieso in Birnes Natur, dass er es jetzt beruflich anwenden konnte, kam ihm gerade recht. Das hätte er auch gemacht, wenn er privat hier gewesen wäre, nun waren es aber Arbeitsstunden, er bekam Geld dafür, unauffällig zu sein. Privat hätte ihm keiner garantieren können, so unauffällig hinter einer so schönen Frau, wie Tanja es im Moment war, her sein zu können. Umgekehrt: Tanja hätte nie gewagt, so schön Straßenbahn zu fahren, wäre er nicht unauffällig hinter ihr gewesen.
    Sie waren am Theater eingestiegen und fuhren nun die wenigen Haltestellen zum Hermann-Friedhof . Ein schöner Friedhof in der Stadt, nicht weit vom Bahnhof, ein ruhiger Ort um diese Tageszeit, ein geeigneter Ort, um auf sich aufmerksam zu machen. Birne hatte amüsiert festgestellt, während sie fuhren und er hinter Tanja saß, dass einige Arbeiter, die sich ebenfalls um diese Zeit durch die Stadt bewegten, ohne dass sie einen Termin hatten, Tanja bewundernd angestarrt hatten. Birne war stolz, sie zu kennen. Er dachte sich zwei Dinge: Ob ihr Mann, also der, den sie suchten, hinter dem sie her waren, unter den Gaffern war? Was hieß groß, was hieß mit Bart? Das eine ist relativ, am anderen kann man etwas ändern. Und zweitens wollte er sich in einer ruhigen Minute darüber klar werden, wie es denn mit seinen Gefühlen für Tanja ausschaute. Ganz kalt lässt sie mich nicht, dachte er, und erschrak ein wenig, denn das hieße, dass er seine Meinung geändert hatte.
    Tanja stieg aus, er auch, andere Männer ebenfalls, an sich war das nichts Verdächtiges. Machen viele an vielen Tagen im Jahr: aus Straßenbahnen steigen. An Friedhöfen. Tanja betrat den friedlichen Ort. Birne überließ sie eine kleine Weile ihren Gedanken an die Unversehrtheit ihres Leibs, schlenderte ein paar 100 Meter lässig wie zwei andere die Straße entlang und nahm dann das nächste Tor zu den Gräbern, zur Unterwelt.
    Er betrat den Friedhof, ließ den Autolärm hinter sich und tauchte ein in eine wunderbare Ruhe. Er sah keinen mehr, auch nicht Tanja. Er war jetzt allein und erlaubte sich, diesen Augenblick zu genießen, obwohl er offiziell im Dienst war: Er atmete tief durch. Er schritt in die Reihen der Toten und hörte das Knirschen des weißen Kieses unter seinen Sohlen. Keine vier Meter von diesem Knirschen entfernt lagen Knochen, die Würmer von dem Fleisch, das sie einmal gewärmt hatte, befreit hatten. So was Bescheuertes, das auch nur irgendwie cool zu finden, dachte sich Birne, würde er es cool finden, wenn da einer auf seinen Gebeinen spazieren ging und nur Ruhe suchte, und auf Andacht und die Vergänglichkeit seines eigenen Lebens pfiff?
    Birne pfiff nicht. Birne pfiff nie, deswegen durften sich die Toten nichts darauf

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