Alphavampir
beobachten, sah Nanouk, dass sein Blick nach innen gerichtet war.
«Es ist wahr, ich schwöre, es gibt kein anderes Rudel. Nicht mehr.»
Ihre Timberwölfin winselte. «Was ist passiert?»
«Sie sind tot.» Er richtete sich mühsam auf, wie ein Mann, der schon viel gesehen und erlebt hatte. «Alle.»
Ihr Tier heulte auf, als hätte man ihm die Füße weggerissen. «Wie konnte das passieren?»
«Evolution.»
Dieses eine Wort war wie ein schwerer Stein, der in Nanouk hineinfiel und ihre Gedanken anregte. Sie waberten, bildeten Kreise, die immer größer wurden und Stück für Stück die Wahrheit frei spülten.
«Warum tust du dann so, als seien Vampire besser als Werwölfe?»
«Sie stellen eine neue Stufe der Evolution dar.»
Plötzlich riss Nanouk ihre Augen auf. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt. Mensch – Gestaltwandler – Vampir. Nein, das konnte nicht sein! Das war unmöglich. Kaum vorzustellen. «Ihr wart früher einmal Lykanthropen?»
Sein Spiegelbild in der Fensterscheibe schaute sie an. Stumm nickte er.
Dieses Geständnis war so unglaublich, dass es Nanouk für einen Moment die Sprache verschlug, obwohl ihr tausend Fragen auf der Zunge brannten. Die Sexualpheromone, die sie wahrgenommen hatten, waren keine Einbildung gewesen, sondern Kristobal hatte sie tatsächlich verströmt. Aber wie war das möglich, wo er doch behauptete, kein Werwolf mehr zu sein? Wenn sie ihn richtig verstand, war sein Wolf tot, er hatte sich weiterentwickelt und war zu einem Vampir geworden.
Das übertraf ihre Vorstellungskraft.
Ihr ehemaliger Gefährte Dante hatte versucht, sein Tier loszuwerden und war darüber verrückt geworden, so dass Claw ihn hatte töten müssen, damit er das Geheimnis um die Existenz der Werwölfe in seinem Wahn nicht preisgab.
«Ich verstehe das nicht.» Sie ging zu ihm und fasste ihn energisch an den Schultern. «Erkläre es mir.»
Seine Kiefer malten. «Wir haben uns von unserer Geißel befreit.»
«Geißel?» Zorn wallte in ihr hoch. Nur mit Mühe konnte sie sich davon abhalten, ihn zu ohrfeigen. «Ihr seid Mörder.»
«Oh, nein, wir sind Überlebende.»
Inbrünstig drückte sie seine Oberarme. Sie stand kurz davor, ihn zu schütteln, bis sein Kopf wieder klar war. «Das, was in euch lebte ... mit euch lebte, war etwas Lebendiges, etwas Kostbares, eine Aufwertung eures menschlichen Daseins.»
Er schnaubte. «Hat dein Alphawolf dir das eingetrichtert?»
Ein zunehmender Schmerz machte sich in ihrem Brustkorb bemerkbar, als würde sich ihr Tier an ihr festklammern. Nanouk überkreuzte ihre Arme und presste sie auf ihren Busen. «Ich würde mich niemals von meiner Wölfin trennen! Wenn sie sterben würde, wäre das auch mein Tod. Vielleicht nicht körperlich, denn ihr habt offensichtlich einen Weg gefunden, die zwei Seelen, die in eurer Brust wohnten, zu trennen – aber ich würde nicht mehr weiterleben wollen. Ich bin eins mit ihr. Sie macht mich erst vollkommen!» Der Schmerz ließ nach. Nanouk entspannte sich und nahm die Hände herunter.
«Welch flammende Rede!» Ein spöttisches Lächeln umspielte seinen Mund. «Hätte ich so empfunden wie du, wäre ich glücklich gewesen. Und wenn ich glücklich gewesen wäre, hätte ich diesen Schritt nicht machen müssen. Aber ich fühlte mich, als wäre ich nie allein, als würde mich ständig ein Schatten verfolgen, jemand, der meine Entscheidungen in Frage stellte, der versuchte mein Handeln zu beeinflussen und mich schwächte, weil ich ständig mit meinem Wolf um die Kontrolle über meinen – meinen! – Körper kämpfen musste.»
«Aber er schenkte dir seine immense Kraft.» In ihren Augen war Kristobal undankbar. «Seine tierischen Instinkte sind hilfreich.»
«Und zeigen sich immer dann, wenn man sie nicht gebrauchen kann. Wölfe lassen sich nicht zähmen, nicht einmal, wenn sie ein Teil von dir selbst sind.» Er hob eine Kleiderstange auf, als wäre das Gespräch für ihn beendet. «Die Trennung war nur eine logische Konsequenz.»
Das klang so sachlich, dass Nanouk am liebsten aus der Haut gefahren wäre. «Woher weiß ich überhaupt, dass du die Wahrheit sprichst? Wir hatten einen Gefährten, Dante, der alles Erdenkliche ausprobiert hat, um sich von seinem Wolf zu befreien. Er ist darüber wahnsinnig geworden.»
«Weil er es nicht geschafft hat.» Kristobals Haltung strahlte selbst dann noch Überlegenheit aus, als er das Polster wieder auf die Sitzbank legte, als wäre er der Butler und nicht der Hausherr. «Wir
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