Alphawolf
hinterherrannte.
Obwohl Tala niemanden erspähte, wusste sie, dass die Werwölfe da waren.
Es war bereits Vormittag, aber die 4.000-Einwohner-Stadt machte immer noch einen verschlafenen Eindruck. Die Fischer waren bereits seit Stunden auf dem Meer, die Touristen längst zu ihren Schiffsausflügen in den Prince William Sound aufgebrochen und die Bewohner gingen gemächlich ihrem Job beim Ölkonzern Exxon Mobile nach, dem größten Arbeitgeber in Valdez.
Naserümpfend schaute Tala auf das Gebäude, zu dem der kleine Parkplatz gehörte. Rechts und links standen haushohe indianische Symbole, die die Indianer aus Fichten geschnitzt hatten. In den Schaufenstern hingen Dreamcatcher und andere Netzamulette. Vom Verandadach baumelte ein Windspiel, aber an diesem Morgen war es zu windstill, um seinen Klang zu hören.
Talas Granny hatte sich neben den Haupteinnahmequellen der Stadt, Fischfang und Erdöl, ausgerechnet für den Tourismus entschieden und das nicht erst, seitdem sie alt war. Sie arbeitete schon eine Ewigkeit lang in einer Indianerwerkstatt, ein ständiger Streitpunkt zwischen Tala und ihr.
«Das ist erniedrigend. Die Symbole unseres Stammes verkommen zu Souvenirs», hatte Tala ihr schon unzählige Male vorgehalten.
Aber ihre Granny ließ sich nicht beirren. «Ich sehe mich als Vermittler zwischen den Kulturen. Auf diese Weise stirbt unsere Tradition nicht aus. Zu viele der Athabascan vergessen ihre Wurzeln und leben ein Fastfood-Leben.»
Damit war auch Tala gemeint, aber sie ließ sich jedes Mal nicht anmerken, dass der Vorwurf sie traf. «Die Touristen interessieren sich nicht wirklich für die Indianer. Für sie sind wir nur Freaks. Sie kommen in die Werkstatt, um uns zu bestaunen, wie Tiere im Zoo.»
«Na, na, du übertreibst.» Selbst bei einem Streitgespräch wie diesem erhob Granny nie ihre Stimme. «Wir verkaufen all die Dinge nicht nur, sondern erzählen ihnen auch Geschichten dazu. Diese nehmen sie im Herzen mit nach Hause.»
«Und vergessen uns ganz schnell wieder.»
«Die Touristen sehen uns nach der Führung durch die Indianerwerkstatt nicht nur in einem anderen Licht, sondern ihr Interesse ist auch geweckt.» Granny lächelte an diesem Punkt der Diskussion immer so breit, dass Tala wusste, nichts und niemand konnte ihre Meinung ins Wanken bringen.
Während ihre Großmutter felsenfest daran glaubte, ihr Wissen weiterzugeben und die Kultur der Athabascan am Leben zu halten, wurde Tala den Eindruck nicht los, dass die Indianer ihre Seele für ein paar Dollar verkauften. Sie rechnete ihrer Granny ihr Engagement und ihren Großmut hoch an, die alte Dame besaß ein großes Herz, nur tat es ihr weh, das Desinteresse in den Gesichtern vieler Touristen zu sehen. Kaum hatten sie den Laden verlassen, dachten sie bereits über das nächste Vergnügen nach. Der Besuch der Werkstatt war neben einer Schiffsfahrt, einem Schneemobil-Ausflug, einer Fahrt mit einem Karibu- oder Husky-Schlitten und anderen Aktivitäten nur ein Punkt auf ihrer Liste, den es abzuhaken hieß.
Tala trat ein. Die Türglocke läutete, aber es kam niemand, um sie zu begrüßen. Sie schlenderte durch den langen Flur, der zu den verschiedenen Werkstätten und Ausstellungsräumen führte. Am Ende wartete der Verkaufsraum auf die Touristen, aber normalerweise kam jemand, um die Ankömmlinge zu begrüßen.
Tala wunderte sich, weil alle Werkstätten verwaist waren. Ihr Blick glitt über die alten Bilder an den Wänden. Die gemalten Darstellungen, Skizzen und Fotos erzählten ein wenig vom Leben der Athabascan, wie es früher einmal gewesen war.
Die Nomaden lebten damals in kleinen Gruppen von zwanzig bis vierzig Personen im Landesinneren von Alaska, wo die Lebensumstände härter gewesen waren als für die anderen Indianerhauptgruppen Alaskas: die Aleuten, die Inuit und die Indianer der Westküste. Sie waren gezwungen, Karibu- und Elchherden über lange Strecken zu verfolgen – wie Wölfe. Außerdem fischten sie Lachse und andere Flussfische und betrieben Handel mit den Tlingit und Inuit.
Sobald der erste Schnee fiel, suchten sie sich einen festen Lagerplatz, um dort zu überwintern. Schon damals fertigten sie aus Birkenhölzern Schneeschuhe an und benutzten Hundeschlitten als Transport- und Fortbewegungsmittel. Durch ihr Nomaden-Dasein entwickelten sich elf Versionen der athabascanischen Sprache. Tala fand das enorm.
Gedankenversunken strich sie über eine Vitrine, in der die Miniatur eines Lagerplatzes stand, daneben war eine
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