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Alphawolf

Titel: Alphawolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Henke
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Jagdszene aufgebaut.
    Fotos von Geburten, Totenfeiern, Namensverleihungen und Potlachs – Feste, bei denen die Gäste übermäßig beschenkt und bewirtet wurden, um das Ansehen der Familie zu steigern – gab es keine, weil die Festivitäten zu intim waren, aber die Indianerwerkstatt stellte hin und wieder Szenen in Miniaturform nach und bot Vorführungen an.
    «Das ist es», sagte sie und blickte in Richtung Hinterausgang. Wahrscheinlich fand gerade eine solche Vorführung hinter dem Gebäude statt.
    Schnellen Schrittes ging sie in den Verkaufsraum, von dem aus man durch eine riesige Glaswand in den Garten sehen konnte. Tatsächlich waren alle dort. Sie bauten ein Tipi auf. Tala vermutete, dass eins der Zelte unter den Schneemassen zusammengebrochen war.
    Die Heizungsluft roch staubig. Während Tala die Arbeiten beobachtete, zog sie ihre Winterjacke aus und legte sie über einen Holzstuhl mit kunstvoll geschnitzter Rückenlehne.
    Granny, die im Außenbereich mit dem Rücken zu Tala stand, drehte sich plötzlich um und schaute in ihre Richtung, als hätte sie ihre Anwesenheit auf magische Weise gespürt. Ihr Blick erhellte sich. Sie winkte und stapfte durch den Schnee zum Hintereingang.
    «Onawa», wisperte Tala. Das war der Name ihrer Großmutter. Er bedeutete ‹hellwach›. Manchmal fragte sich Tala, ob damit nicht hellseherische Fähigkeiten gemeint waren, eine Art von Wachheit auf höherer mentaler Ebene.
    Obwohl Onawas rundes, wettergegerbtes Gesicht runzelig wie ein Faltenhund und von Altersflecken übersät war, fand Tala sie wunderschön. Ihre Granny strahlte eine Wärme aus, die einnehmend und beruhigend war. Trotz des frühen Todes ihres Mannes an einem Hirnaneurysma, der Tatsache, dass der Beruf ihres Schwiegersohns ihre Tochter immer wieder von ihrem Stamm wegführte und dann auch noch ihre Enkelin ihren eigenen Weg ging, verlor sie nie ihr warmes Lächeln. Sie war nicht immer einverstanden mit den Entscheidungen ihrer Lieben und sie sagte stets ihre offene und ehrliche Meinung, dennoch war sie niemals böse mit ihnen. Tala hatte Granny noch nie schreien hören.
    Onawa ruhte in sich selbst, dafür beneidete Tala sie von ganzem Herzen.
    An diesem Tag trug sie einen traditionellen Parka mit großer Kapuze und Fellbesatz. Sie trat vor der Tür mehrmals mit den Füßen auf, um ihre Boots vom Schnee zu befreien, und kam in den Verkaufsraum. «Hallo Tala, ich wusste, du würdest mich bald wieder besuchen kommen.»
    «Das konntest du nicht wissen.» Du hast es dir nur gewünscht, fügte Tala in Gedanken an.
    «Du bist genauso freiheitsliebend wie deine Mom», sagte Onawa mit Bestimmtheit und schob ihre Kapuze vom Kopf. Ein langer, für ihr Alter erstaunlich brauner, geflochtener Haarzopf kam zum Vorschein, die wenigen grauen Strähnen leuchteten wie Silberfäden. «Euch locken die Städte. Aber es zieht dich immer wieder zu deinem Stamm zurück, genauso wie deine Mutter jedes Mal wieder heimkehrt wie ein Wolf zu seinem Rudel.»
    Jegliche Farbe wich aus Talas Gesicht. «Ein Wolf?» Besaß Granny tatsächlich hellseherische Fähigkeiten?
    «Er braucht sein Rudel, wie wir unseren Stamm.» Lächelnd zog sie ihren Parka aus und hängte ihn an die Garderobe. «Möchtest du etwas Karibu-Jerky? Du siehst blass aus. Isst du auch genug?»
    Tala war mulmig zumute. «Danke, ich bin noch satt vom Frühstück.»
    Onawa nahm etwas Karibu-Fleisch, das die Indianer selbst dörrten und an die Touristen verkauften, von einem Tablett, das hinter einer Vitrine stand, und biss genüsslich hinein. Mit vollem Mund fragte sie: «Warum bist du überhaupt hier?»
    Also konnte sie doch nicht hellsehen. Tala lächelte in sich hinein. Claw tauchte in ihren Gedanken auf. Sie hatte tatsächlich eine halbe Stunde lang mal nicht an ihn gedacht. Aber nun war er wieder in ihrem Kopf.
    Sie beschloss, sich langsam heranzutasten. «Wieso haben meine Eltern mich ausgerechnet Tala genannt?»
    «Das weißt du nicht mehr?» Onawa schluckte den Bissen Dörrfleisch herunter und hob die Augenbrauen. Dann umspielte ein triumphierendes Lächeln ihre zarten Lippen. «Ah, du denkst über deine Wurzeln nach. Das ist gut, das ist sehr gut. Der Nachwuchs sehnt sich nach den vermeintlichen Vorzügen der modernen Gesellschaft, aber irgendwann kommt bei jedem der Zeitpunkt, an dem er mehr über seine indianische Herkunft erfahren möchte. Früher oder später.»
    Tala verstand den Seitenhieb. Ihre Neugier war eher später als früher erwacht.
    Ihre Granny biss

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