Alphawolf
nur wenige Menschen in der Lage sind zu erkennen.»
«In der Mythen manchmal doch wahr sind?»
Onawa verstand nicht, was sie meinte. Wahrscheinlich hatte sie die Werwölfe längst vergessen. «Für viele ist der Mensch der Herr der Schöpfung, der sich die Natur unterwirft und ausbeutet. Aber wir Athabascan sehen uns als Teil dieser Welt. Wir sind nur ein kleines Rad im Getriebe, nicht das größte und wichtigste, das den Kurs angibt, wie viele Menschen meinen.»
«Nicht alle denken materiell», warf Tala ein. Sie hatte sich nicht dafür entscheiden, bei Wild Protection zu arbeiten, weil das Gehalt hoch war. Das Gegenteil war der Fall. Sie wollte etwas Sinnvolles mit ihrem Leben machen und eine erfüllende Tätigkeit ausüben. Das tat sie in ihren Augen, sie versuchte zwischen Mensch und Tier zu vermitteln und das Zusammenleben zu erleichtern.
Sanft legte Onawa eine Hand auf Talas Schulter. «Ich weiß. Das Thema beschäftigt mich nun schon seit geraumer Zeit. Wir haben immer versucht, harmonisch mit der Natur zu leben, und der Schöpfung einen tiefen Respekt entgegengebracht, weil wir glauben, dass alles vom göttlichen Geist beseelt ist. So wie wir denken nur noch wenige, selbst Indianer. Das stimmt mich traurig.»
Tala drehte sich um und umarmte ihre Granny. «Du hast mich nicht verloren.»
In diesem Moment flammte ihr Zugehörigkeitsgefühl auf. Sie war eine Athabascan und würde es immer bleiben! Die Balance zwischen Moderne und Kultur war nicht immer leicht. Aber Onawa hatte Recht, Tala kam immer wieder zurück. Bei ihrem Stamm hatte sie ein Zuhause, egal, wo sie gerade war und was sie tat. Ihr war das nicht mehr bewusst gewesen, aber nun spürte sie wieder dieses Gefühl von Heimat.
Die Werwölfe hatten ihr diesen Denkanstoß gegeben. Ob es wirklich Schicksal gewesen war, dass sie aufeinandergetroffen waren?
Onawa löste sich von ihr und lächelte schon wieder. «Und ich hatte vermutet, du wärst wegen Mantotopah gekommen.»
«Toto?» Talas Herz wummerte plötzlich in ihrem Brustkorb. «Er ist in Valdez?»
«Nicht nur das. Er hilft just in diesem Moment beim Aufbau des neuen Tipis», erklärte Onawa und zeigte in Richtung des Gartens, als könnte sie ihn durch die Wände der Werkstatt sehen. «Ich dachte, dir wäre zu Ohren gekommen, dass er seinem Vater im Totem Inn hilft, um das Restaurant in einigen Monaten zu übernehmen, und wärst rein zufällig auch vorbeigekommen.» Onawa zwinkerte.
Talas Mund war trocken. Ihr war heiß, sie fühlte sich fiebrig. «Er wohnt jetzt wieder hier?»
Fröhlich nickte Onawa. «Du wusstest es wirklich nicht, stimmt’s? Dein Schwarm ist zurück. Es kann kein Zufall sein, dass auch du dich zum selben Zeitpunkt wieder unserem Stamm annäherst. Vielleicht findet ihr ja doch endlich zusammen. Warte, ich gehe ihn holen.»
Bevor Tala ihre Granny daran hindern konnte, rieb diese verschwörerisch ihre Handflächen aneinander und verließ den Raum.
Tala war wie versteinert. Sie kam sich wieder vor wie ein Teenager, der sich zu jemandem hingezogen fühlt, sich aber nicht traut, ihm unter die Augen zu treten. Nervös kaute sie auf einem Fingernagel herum.
Schon mit vierzehn Jahren hatte sie für Mantotopah geschwärmt. Sie waren nie zusammengekommen, aber immer befreundet gewesen. Einen einzigen schüchternen Kuss hatte es gegeben, damals, als sie mit der Klasse einen Schulausflug in die Wälder gemacht, sich abgesetzt hatten und herumgetollt waren.
Was waren sie füreinander gewesen? Tala konnte es nicht einmal heutzutage definieren. Mehr als Freunde, aber niemals ein Liebespaar.
Eine unbändige Vorfreude erfasste sie, die sie unruhig auf- und abgehen ließ. Sie würde Toto wiedersehen! Und vielleicht, ja, vielleicht würde sich ihre Beziehung endlich definieren.
Weshalb fiel ihr in diesem Moment ausgerechnet Claw ein? Das hässliche Gefühl des Betrugs wallte in ihr auf. Dabei war sie ihm nichts schuldig. Rein gar nichts.
Kapitel 9
«Es ist unglaublich, dass wir hier zusammensitzen.» Mantotopah nippte an seinem Tee und lächelte Tala an. «Wie lange ist es her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben?»
Sie wünschte sich, etwas anderes als Blue Jeans und einen rotbraunen Fleece-Pullover angezogen zu haben. «Zwei Jahre, kurz bevor du in den Norden gegangen bist, um im Kobuk-Valley-Nationalpark als Ranger zu arbeiten.»
Wie gut er aussah! Er war groß gewachsen und besaß breite Schultern. Ein richtiger Kerl zum Anschmiegen. Toto war nicht so durchtrainiert wie
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