Alphawolf

Tracer geführt und damit ein Geheimnis des Alphawolfs verraten hatte. In Claws Augen war das ein großer Fehler gewesen, doch nun zahlte sich dieser sogar aus. Alles hatte einen Sinn im Leben.
    Sie sprintete zu ihrem Telefon und streckte ihre Hand aus, um den Hörer abzunehmen und die Auskunft anzurufen, als es klingelte.
    Mitten in der Bewegung erstarrte Tala.
    Sie fröstelte. Zitternd nahm sie ab. «Hallo?»
    «Tala?»
    «Hallo, Granny.» Rasch zog sie den Pulloverärmel über ihren Handballen und trocknete damit ihre Wangen, als könnte Onawa sie durch Telefon sehen.
    «Geht es dir gut? Du klingst komisch.»
    Ihre Nase war vom Weinen verstopft. «Nur verschnupft.»
    «Nimm ein heißes Bad und pack dich warm ins Bett.»
    Wenn das alles wäre, was es brauchen würde, um meinen Kummer zu vertreiben, dachte Tala bekümmert. «Tut mir leid, dass ich dich noch nicht angerufen habe, aber ich habe nichts von Chankoowashtay gehört. Bis Anchorage hat es sich offensichtlich noch nicht herumgesprochen, dass der Schamane verschwunden ist.»
    «Aber ich habe Neuigkeiten.» Onawa atmete schwer, als würde eine Last auf ihren Brustkorb drücken. «Du hattest mich nach den Yup’ik und Cup’ik gefragt.»
    «Ja?» Tala setzte sich auf die Armlehne des Sofas, weil eine böse Vorahnung ihre Knie weich machten.
    «Das Gerücht, das du gehört hattest, ist wahr. Es werden wirklich Mitglieder der beiden Stämme vermisst. Wie Chankoowashtay sind sie von heute auf morgen spurlos verschwunden, ohne ihren Ausweis, Geld oder Kleidung mitzunehmen.»
    «Bitte, sag mir nicht, dass es auchﾠ...»
    «Schamanen», Onawa seufzte, «es sind auch die Schamanen, die unauffindbar sind.»
    Ein weiteres Puzzleteil. Oh, mein Gott, dachte Tala, schloss ihre Augen und stützte ihren Kopf mit der Hand. Das konnte kein Zufall sein!
    Dante plante ein Experiment, um dem, was ihm widerfahren war, auf den Grund zu gehen, und er hatte alle Zutaten zusammen: spirituelle Unterstützung und ein Versuchsobjekt.

Kapitel 20
    Claw und Lupus waren nach Talas Anruf zu ihr geeilt. Während der alte Mann sich am Lattenzaun hochzog, um darüberzuschauen, als könnte er Dante noch erspähen, hatte der Alphawolf sich auf der Terrasse hingehockt und betrachtete die riesigen Pfotenabdrücke.
    Er schnüffelte. «Rufus hat gepinkelt, als Dante ihn weggetragen hat.»
    Tala schwankte. Ihre Tränen waren getrocknet, ihr Zopf neu gebunden und sie hatte sich einen frischen Pullover angezogen. Äußerlich wirkte sie aufgeräumt, doch in ihrem Inneren tobte ein Chaos.
    Mit einem Satz war Claw bei ihr und hielt sie an den Schultern fest. Sie schrie vor Schmerz auf und wollte sich losreißen, aber er umschlang mit seinem Arm ihre Hüften und weitete mit der anderen Hand den Kragen ihres Pullis, um darunterzuschauen. Er bemerkte die Kratzer, die Dantes Pranke hinterlassen hatte.
    «Verdammt», fluchte Claw. «Das wird er büßen.»
    Tala quälte sich ein Lächeln hervor. «Nicht so schlimm.»
    Er schnaubte und drückte sie auf den Sessel nieder, dann ging er vor ihr in die Hocke und legte die Hände auf ihre Knie. «Lupus wird sich das gleich ansehen und verbinden. Du hast doch alle notwendigen Impfungen, oder?»
    «Selbstverständlich, Walter legt großen Wert darauf.» Sie zögerte. «Kann er michﾠ... kann Danteﾠ...»
    Claw schüttelte den Kopf. «Nur ein Biss kann dich infizieren. Lupus hat herausgefunden, dass ein Sekret in den Fangzähnen den – wir nennen ihn – Virus überträgt. Es wird abgesondert, wenn die Zähne tief ins Fleisch des Opfers gestoßen werden, ähnlich wie bei Schlangen und ihrem Gift. Speichel alleine und Verletzungen durch Krallen sind ungefährlich.»
    «Ich forsche schon sehr lange, aber ich bin nur ein einfacher Arzt und kein Wissenschaftler. Was ich entdeckt habe, sieht aus wie ein mutierter Tollwuterreger, allerdings –» Lupus, der auf der Terrasse stand und begann, die zerstörte Tür notdürftig mit Bretten zu verschließen, verstummte, da der Alpha ihm einen finsteren Blick zuwarf.
    Tollwut greift das Gehirn und das Rückenmark an, dachte Tala, das könnte das Gestaltwandeln ansatzweise erklären, ebenso die Kraft, die Werwölfe besitzen, denn Tollwut setzt ein gesteigertes Aggressionspotenzial frei. Möglicherweise entstanden diese übernatürlichen Geschöpfe, indem ein Mensch von einem tollwütigen Wolf gebissen wurde. Behandelt man Tollwut nicht sofort, ist man dem Tod geweiht. Konnte es sein, dass jemand die Krankheit dennoch überwunden