Alphawolf

einem Debattierclub. Es wird zu einem blutigen Kampf kommen.»
    «Das weiß ich.» Sie atmete tief durch und bemühte sich, ihre Stimme weich klingen zu lassen. Beiläufig drückte sie gefühlvoll seine Arme. «Lupus glaubt, Zeichen dafür zu erkennen, dass ich eine Aufgabe in dem Kampf gegen Dante zu erfüllen habe, und ich spüre, dass die Zeit gekommen ist. Mir ist noch nicht klar, wie ich euch helfen kann, aber ich muss dort sein: bei Rufus, bei Dante – und bei dir.»
    Claw schwieg eine Weile. Seine Zähne bildeten sich zurück. Er schaute ihr in die Augen und musste dort wohl ihre Entschlossenheit erkennen, denn er ließ sie los und trat zurück. «Lupus wird auf der Fahrt deine Wunden versorgen. Er hat seinen Arztkoffer immer dabei.»
    Keine Minute später fuhr Claw über die mit frischem Schnee bedeckten Straßen, immer am Rand des Limits und kurz davor, von der Fahrbahn zu rutschen, als wäre der Teufel hinter ihnen her. Irgendwie schaffte er es, das Auto nicht in den Graben zu setzen und sie heil in den Wood-Buffalo-Nationalpark zu bringen.
    Sie trafen an einer vereinbarten Kreuzung auf Canis, der sie zu Nanouk brachte. Die Werwölfin stand auf einer kleinen Anhöhe und hielt ein Gebäude im Auge, das am Ufer des Athabasca-Sees lag.
    Canis deutete auf das einstöckige Holzhaus. «Dante hat den gesamten Park markiert. Wir hatten erwartet, dass er sich in einer Höhle verkrochen hat, doch er hat das leer stehende Restaurant dort unten besetzt. Es wird nur im Sommer betrieben, wenn sich viele Touristen im Nationalpark aufhalten. Im Winter verirrt sich kaum jemand hierhin.»
    «Er weiß, dass wir hier sind», sagte Nanouk und rümpfte die Nase. «Er muss uns gewittert haben, denn er zeigt sich immer mal wieder mit einem Schamanen am Fenster, dem er drohend seine Klaue auf den Schädel gelegt hat, um uns zu zeigen, dass er ihm jeden Augenblick das Genick brechen könnte.»
    Tala zog hörbar ihren Atem ein und alle sahen sie an. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. Ihr war unwohl, weil sie keine von ihnen war. Sie war ein Mensch, kein Werwolf, und gehörte nicht zum Rudel. Sie besaß weder die Kraft noch die Wendigkeit der Lykanthropen und war jedem Einzelnen unterlegen, selbst wenn sie eine Waffe gehabt hätte. Vielmehr war sie ein Störfaktor, genau jene Person, der die Gestaltwandler normalerweise eine Lektion erteilten, weil sie von ihrem Geheimnis wusste.
    Ihr Blick glitt zu Claw. Er würde sie vor den anderen beschützen, oder?
    «Wir müssen etwas unternehmen», sagte Lupus. «Bald! Bevor Dante die Zeremonie mit Rufus durchführen kann.»
    Nanouk ballte ihre Fäuste. «Wir sollten ihn umzingeln und zuschlagen, von allen Seiten gleichzeitig.»
    «Das haben wir schon öfters probiert und er war uns immer überlegen», wehrte Claw ihren Vorschlag ab und stellte einen Fuß auf einen umgestürzten Baum, dessen Rinde daumenbreit mit Schnee bedeckt war. Er stützte sich mit der Hand auf seinem Knie ab.
    «Außerdem würde er seine Gefangenen töten, bevor ihr das Restaurant überhaupt erreicht hättet», warf Tala besorgt ein. Da niemand antwortete, befürchtete sie, dass das Rudel die vier Todesopfer als Kollateralschaden in Kauf nehmen würde. «Das kann ich nicht glauben. Ihr würdet Rufus opfern? Er steht ganz unten in eurer Hierarchie, aber er ist immer noch einer von euch. Und die Schamanen? Drei unschuldige Männerﾠ...»
    Claw knurrte. «Niemand wird sterben. Wenn das Überraschungsmoment auf unserer Seite gewesen wäre, hätte ein Angriff aus dem Hinterhalt funktionieren können, aber nun ist es zu spät. Dante ist vorbereitet.»
    Immer mehr Werwölfe trudelten ein. Sie stellten ihre Wagen in einiger Entfernung ab und rannten entweder in Menschen- oder bereits in Wolfsgestalt durch den Wald zu ihrem Anführer.
    Große Schneeflocken schwebten sanft zur Erde. Eine trügerische Stille umgab die Gruppe. Zu dieser Jahreszeit hielten ohnehin viele Tiere ihren Winterschlaf, aber Tala fand, dass es ungewöhnlich ruhig im Nationalpark war, als hätten sich alle Tiere verkrochen, weil sie sich vor dem Werwolf-Rudel fürchteten. Nicht einmal die Bisonherden, für die der Park, der 1983 von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt worden war, zeigten sich. Im Sommer tummelten sich hier 300 Tierarten: davon 250 Vogelarten, Füchse, Wölfe, Bieber, Bisons, Schwarzbären, Grizzlys, Elche, Murmeltiere – doch im Moment war nicht einmal ein einziges Tier zu sehen oder zu hören.
    Gespenstisch! Der Park wirkte wie