Alptraum in Pink
dem Ende in Sicht.«
Sie beugte sich neugierig und komisch interessiert zu mir herüber. »Liebling«, sagte sie. »Liebling, Liebling.« Es klang wie ein künstliches Echo. Sie sperrte den Mund so weit auf, dass ich sehen konnte, wie ihre Zungenspitze ein pinkgefärbtes L formte.
Ein winziger Punkt tauchte an ihrem Haaransatz auf, genau mitten auf ihrer Stirn. Er bewegte sich langsam die Stirn hinunter, und während er das tat, klappten die beiden Fleischlappen zur Seite, schillerten pink und blutig, und legten den harten, elfenbeinfarben schimmernden Knochen frei. Die sich bewegende Trennlinie teilte die Augenbrauen, schnitt Nase, Lippen und Kinn entzwei, und das halbierte, feuchte, weiche Fleisch fiel ab und hinterließ nur den weißen Schädel und die schwarzen Löcher, in denen einmal Augen gesessen hatten. Die Kiefer und Zähne waren in einem weißen Todesgrinsen entblößt, doch der Wangenknochen funktionierte noch, und ihre Zunge war in dieser trockenen Grabeshöhle feucht und pink geblieben. Sie rollte sich zum L und sagte immer wieder: »Liebling, Liebling.«
Ich kniff die Augen fest zusammen und umklammerte mit beiden Händen die Tischkante. Unter meinem Griff verwandelte sich der Tisch in etwas Nasses, Weiches und Rundes. Ich schielte nach unten, versuchte, die Kontrolle wieder zu erlangen, und als ich richtig hinsah, wurde wieder eine Tischkante daraus. Dieselbe Angst wie damals bei dem Erdbeben stieg in mir hoch und fegte durch mein Hirn wie ein schwarzer Sturm. Mit dem winzigen verbleibenden Rest meines Verstandes versuchte ich, meine Lage einzuschätzen. Sie hatte das Feuerzeug fallen lassen und es mit dem Fuß an die Wand geschubst. Das gab ihr Zeit genug.
Ich versuchte, mich an einem ganz kleinen Zipfel der Wirklichkeit festzuhalten. Ich kannte die Worte. Ich wollte, dass der ganze Saal die Worte vernahm. Rufen Sie die Polizei.
Ich hörte die Worte, die ich hervorbrachte. Ein spuckendes, tierähnliches Geheul. »Runter mit dem Paul, Scheiß.« Meine Muskeln waren verkrampft. Ich riskierte einen Blick auf ihren Totenschädel. Sie war verschwunden. Sie schien nicht mehr da zu sein. Ich war nicht sicher, ob sie weg war. Gar nichts war mehr sicher.
Dann kippte der Saal plötzlich zur Seite und rammte mir seine Wand in die Schulter. Ich wollte sie ansehen. Doch eine Ansammlung der dünnsten, längsten Menschen, die ich je gesehen hatte, standen im Halbkreis um diesen steilen Abhang und schauten in die Sitznische hinunter. Sie hatten winzige Köpfe, kaum größer als Orangen. Einer von denen war Polizist. »Hadda!«, schrie ich ihn an. »Hassa, hadda«, und dann übergab ich mich vor lauter Angst.
Aus einer Tür im Spitzbauch des Polizisten schaute mich eine Schlange an.
Dann waren da noch weiße Dinger, weiße Dinger, die ächzten und herumrannten und an mir zerrten und gegen die ich im Traum kämpfte, dann wurde ich von den Füßen gerissen, mit dem Gesicht zu Boden geworfen und spürte einen kleinen, stechenden Biss in meiner Pobacke.
Ich wurde unter einem nächtlichen Himmel weggerollt und sah tausend winzige Gesichter auf langen, über mich gebeugten Körpern, die von beiden Seiten auf mich herunterstarrten. Dann war da noch ein mächtiger Schlag, Geschiebe, Türenknallen. Motorengeheul. Hoch oben rauschten die Lichter der Stadt vorüber. Ich hatte das Gefühl, ich würde immer tiefer sinken. Jemand war ganz dicht neben mir, ich spürte Finger um mein Handgelenk. Das Ding, in dem ich mich befand, kippte zur Seite, und wir fuhren in die dunkle Landschaft hinaus, schrammten schnell auf der Seite entlang und hinterließen einen Funkenregen ...
Eine ganze Zeit lang konnte ich nicht sagen, ob ich wach war oder schlief. Ich lag in einem Bett in einem weißen Zimmer. Tageslicht drang durch ein Fenster mit einem dicken Drahtgitter. Ich konnte den Kopf bewegen, sonst nichts. Ich konnte eine weiße Wand sehen. Darauf passierte ständig irgendetwas. Eine Ewigkeit konnte ich nichts dagegen tun. Im Schlaf kann man Ereignisse nicht zum Stillstand bringen. Immer wieder taten sich in der Wand Schauplätze auf. Ich sah schreckliche Orte und vernahm schreckliche Dinge. Groteskes Kopulieren. Riesige, verfaulende Käfer. Gespenstische Wesen, die sich gegenseitig auffraßen. Andere Dinge öffneten die Wand von der anderen Seite, kamen durch mein Zimmer und verschwanden, als sie sich dem Bett näherten. Ich verkrampfte mich jedes Mal und wartete darauf, dass sie mich mitnahmen. Einmal fingen hunderte von
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