Alptraum in Pink
an. Diesmal trat der Hurenblick offen zu Tage. Dem ganzen geschmackvollen Beiwerk lag eine grobe Kost zugrunde, an der selbst eine Ziege ersticken würde. Man brauchte mir nicht zu sagen, wie sie an diesen Beruf geraten war. Er war eigens für sie geschaffen worden.
»Falls du hier eine Stunde warten kannst, wird eine andere kommen, die dir vielleicht eher zusagt. Eine von den Neueren, glaube ich. Jünger, und vielleicht bei allem etwas nervös.«
»Ich hatte nicht vor, dich zu beleidigen, Rossa.«
»Mein lieber Junge, ich kann mir nicht im Entferntesten vorstellen, womit du mich beleidigen könntest. Ich wollte die Dinge nur angenehmer für dich gestalten.«
»Du bist angenehm.«
Plötzlich wurde ich von ihrem Lächeln geblendet. Jetzt war sie ein Mannequin, das in einem professionellen Studio ihr Gesicht in eine imaginäre Frühlingsbrise hielt. »Ich werde dir sehr gut gefallen. Keine Angst. Du bist ein aufregender Mann, Trav. Es wäre mir gar nicht recht, wenn ich dich jetzt aufgeben müsste. Also, jetzt vergessen wir das alles und haben unser Rendezvous. Du bist ins Reisebüro gekommen und wolltest ein Flugticket kaufen. Du hast mich gefragt, ob du mich nach der Arbeit zu einem Drink einladen kannst. Ich bin ein ganz anständiges Mädchen und frage mich gerade, ob ich bei dir ein bisschen zu waghalsig werde.« Sie streckte mir ein kleines goldenes Feuerzeug entgegen und zündete meine Zigarette an. Dann wollte sie die Flamme an ihre eigene Zigarette halten, hantierte aber so ungeschickt mit dem Feuerzeug herum, dass es ihr in den Schoß und anschließend klappernd zu Boden fiel. Sie lachte und meinte: »Siehst du? Du machst mich tatsächlich ein bisschen nervös, Liebling.«
Ich kauerte auf den Absätzen neben der kleinen Sitznische und suchte unter dem Tisch nach dem Feuerzeug. Ich sah es hinten an der Wand aufblitzen, streckte die Hand aus und hob es auf, dann setzte ich mich wieder in die Nische, zündete ihr die Zigarette an und gab es ihr.
»Danke sehr, Liebling«, sagte sie und täuschte die Zärtlichkeit in ihrer Stimme perfekt vor.
Wir tranken aus und bestellten noch eine Runde.
Ich kam mir unglaublich gerissen vor. Ich würde sie zum Plaza bringen, hinauf in Terrys Suite verfrachten, und plötzlich würde Rossa Hendit feststellen, dass der Abend nicht so verlaufen würde, wie sie es sich vorgestellt hatte. Alles, was wir von ihr wollten, war eine Unterhaltung über Charlie, und Terry war bereit, gut dafür zu bezahlen. Das Band würde Terrys äußerst tüchtigen Rechtsanwalt mit ausreichend Hintergrundmaterial versorgen, damit er einen Gerichtsbeschluss erwirken und Charles McKewn Armister zur Beobachtung in ein Krankenhaus einweisen könnte. Joanna Armister würde die nötigen Papiere unterzeichnen. Nachdem sie ihn von dem Zeug entwöhnt hätten, das man ihm verabreicht hatte, wäre Charlie in der Lage, den ganzen Schwindel auffliegen zu lassen.
Meine Verabredung kam mir leicht geistesabwesend vor. Es war eine ruhige Bar, und das Geschäft ließ merklich nach. Sie ging zur Damentoilette und schien lange Zeit wegzubleiben.
Die Wirklichkeit ist eine merkwürdige Konvention. Jeder hat seine eigene Norm. Von der Wahrnehmung seiner eigenen sechs Sinne ausgehend, hat jeder von uns sich eine eigene Version der Wirklichkeit zurechtgelegt. Wir überprüfen diese Version ständig mit all unseren sensorischen Fähigkeiten. Im Sommer 1958 war ich in Acapulco, als ein starkes Erdbeben die Region erschütterte. Ich wachte vom Geräusch aneinander knirschender Dachziegel und vom Geheul von tausend Hunden auf. Barfuß trat ich zum Fenster, unter meinen nackten Sohlen die kalten Bodenfliesen. Plötzlich merkte ich, dass sich der Boden kräuselte. Wellen im steinernen Fliesenboden warfen mich aus dem Gleichgewicht. Es war ein Ding der Unmöglichkeit. Der Fliesenboden war massiv. Dass ein solcher Boden derart Wellen schlagen kann, zerstört den Glauben an die Verlässlichkeit der Sinneseindrücke. Eine tief sitzende, primitive Angst packte mich, wie ich es nie zuvor erlebt hatte. Ich konnte mich nicht mehr auf meine Wahrnehmung der Wirklichkeit verlassen.
Sie kam wieder aus der Damentoilette. Sie setzte sich und lächelte mich an. Ich sagte: »Lass uns doch drüben im Plaza noch etwas trinken.«
Mein Hirn hatte meinem Mund befohlen, diesen Satz zu sagen. Aber die Worte in meinem Mund fühlten sich merkwürdig an. Ich hörte wie ein fernes Echo, was ich wirklich gesagt hatte: »Lass uns doch untergehen mit
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