Alptraum-Sommer
mich mit einem beißenden Spott in der Stimme.
»Keine Ahnung.«
Der Inspektor deutete auf das Haus. »Eine Frage mal, Alter. Müssen wir ›beide‹ diesen Großvater besuchen? Oder reicht einer von uns dabei völlig aus?«
Ich lächelte schief. »Du willst hinter dem Jungen her, nicht wahr?«
»Das hatte ich mir vorgestellt. Er wollte doch seine Prinzessin suchen. Vielleicht kann ich ihm dabei helfen.«
Ich winkte ab. »Kindermund.«
»Bei einem Hundertjährigen?«
Mein Lächeln fiel verzerrt aus. »Okay, ich merke schon, worauf alles hinauslaufen wird. Wenn du willst, schau mal nach, wohin sich unser Freund gewendet hat.«
»Gern, und du kannst dann den Großvater mal fragen, ob er dann dreihundert Jahre zählt. Müßte ja in der Relation hinkommen.«
»Okay, okay, viel Spaß.«
»Danke gleichfalls.«
Uns war nicht nach Lachen oder einem Scherz zumute. Das letzte Gespräch war eher in einem bissigen Tonfall geführt worden. Wir ahnten beide, daß uns der Junge keinen Bären aufgebunden hatte und daß etwas auf uns zuschwebte, vergleichbar mit einer unsichtbaren Würgeschlinge, die sich allmählich um unsere Hälse zuzog.
Suko war verschwunden. Ich konnte mir die Hecke noch von der Innenseite anschauen und stellte fest, daß die dicken, farbigen Blüten ein regelrechtes Muster bildeten. An verschiedenen Stellen hatten sie sich in das helle Grün eingedrängt, und manche von ihnen bewegten ihre langen und oft breiten Blätter wie Mäuler, die drauf warteten, etwas in den Rachen geworfen zu bekommen.
Ich dachte an fleischfressende Pflanzen und auch daran, daß ich so etwas schon einmal erlebt hatte. Nur hatten diese Pflanzen sich auf Menschen spezialisiert und sie verschlungen, angetrieben von einem teuflischen Gärtner.
Da ich dicht hinter dem Tor mitten auf dem Weg stand, konnte man mich vom Haus aus gut sehen. Sicherlich war ich schon entdeckt worden, aber dieser Großvater des ›Hundertjährigen‹ (klang wie ein Witz) ließ sich nicht blicken.
Gemächlich, als wäre in der Zwischenzeit nichts geschehen, schlenderte ich auf das Haus zu. Der grüne Pflanzenwuchs sah aus, als wollte er es begraben und hatte wirklich nur die Fenster freigelassen. Sogar auf dem Dach hatte er sich ausgebreitet und rankte über die Dachrinnen hinweg.
Die Tür des Hauses befand sich genau in der Mitte und bildete die Rückseite eines Windfangs.
Ich versuchte, mich auf das Haus zu konzentrieren und auf seine Aura.
Jedes Gebäude besitzt so etwas. Da überkommt einen Menschen dann ein gewisses Gefühl, ob das Haus positiv oder negativ eingestellt ist. Ich spürte hier nichts. Etwas anders war es schon, trotz des Sonnenlichts düster, das aber mochte an den dichten Gewächsen liegen, die die Hauswand wie einen mächtigen Farbanstrich umgaben.
Der Weg war nicht gepflastert, sondern mit grauen Steinen bestreut, die unter meinen Schritten knirschten. Die Haustür schälte sich allmählich aus dem Düster des Windfangs hervor. Sie war fensterlos und dunkel gestrichen, möglicherweise auch grün, und wurde plötzlich von innen her aufgezogen.
Dabei entstand ein Geräusch wie in einer Mühle, wo Knochen zermalmt wurden.
Ich blieb stehen.
Im Ausschnitt der offenen Tür erschien eine Gestalt. Sie war so groß wie ich, trug ein kariertes Hemd, eine Cordhose, an der auf beiden Beinen kleine Holz- oder Wurzelsplitter hingen. Für mich ein Zeichen, daß ich den Mann bei der Arbeit gestört hatte.
Er war älter als ich. Sein Gesicht hatte vom Haaransatz bis zur unteren Hälfte einen hellen Schein bekommen, doch es war nicht der Heiligenschein, sondern der dichte Pelz eines weißen Barts, der im leichten Windzug zitterte.
Die übrige Gesichtshaut zeigte eine gesunde sonnenbraune Farbe, wobei mich die Nase des Mannes an eine dicke Knolle erinnerte und mir der Vergleich mit dem Filmschauspieler Karl Maiden in den Sinn kam.
Kleine Augen blinkten mir entgegen, und die einladende Handbewegung bedeutete, daß ich doch näher kommen wollte.
Was ich auch tat.
Ich ging locker, obgleich ich innerlich sehr gespannt war. Die drei Verschwundenen wollten mir nicht aus dem Sinn, und mir, dem Vorgewarnten, sollte es nicht auch so ergehen.
Der Mann lächelte, als er sich vorstellte. »Mein Name ist Patrick O’Hara, Mister. Wie ich sehe, wollen Sie mir einen Besuch abstatten. Mein Enkel hat ja schon mit Ihnen geredet. Seien Sie mir also herzlich willkommen.«
Er reichte mir die Hand, in die ich meine nach einem kurzen Zögern legte.
Die
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