Alptraum-Sommer
Haut fühlte sich rauh an, so daß ich mir vorkam wie jemand, der einen Backstein umschlossen hatte. Der Griff war kräftig, es war eben eine Hand, die das Arbeiten gewohnt war.
»Ich heiß John Sinclair.«
»Fremd hier, nicht?«
»Ja.«
»Seien Sie mir trotzdem willkommen, Mr. Sinclair.« Er ließ meine Hand los und gab den Weg in sein Haus frei.
Ich ging vor.
Bisher hatte ich gelächelt, doch das gefror mir kurze Zeit später schon auf den Lippen, als ich den Geruch wahrnahm, den ich verdammt gut kannte.
Es roch nach Blut!
***
Suko wußte nicht, ob er richtig gehandelt hatte, als er sich dazu entschloß, den Jungen zu verfolgen. Jetzt waren er und John getrennt, das gefiel ihm nicht. Auf der anderen Seite hatten sie es oft so gehalten, daß sie getrennt marschierten und vereint zuschlugen. Er konnte sich gut vorstellen, daß sowohl der Großvater und dessen angeblich hundertjähriger Enkel von einem Geheimnis umgeben waren, in dem Mandragoro, die Alraunen und dieser Sommer mit dem dschungelartigen Bewuchs eine Rolle spielten.
Es war ja nicht nur einfach ins Leere hineingedacht. Suko brauchte nur in die Gärten zu schauen, um seinen Verdacht bestätigt zu bekommen.
Was dort alles wuchs und gedieh, war wesentlich üppiger und größer als in anderen Regionen der Insel.
Suko hatte zudem Glück gehabt. Der Vorsprung des Jungen war nicht so groß gewesen, als daß er den Kleinen aus den Augen verloren hätte.
Und Kelly benahm sich wie ein normales Kind in seinem Alter. Da wies nichts auf sein angeblich hohes Alter hin.
Über eines wunderte sich Suko ein wenig.
Der Junge hatte nicht die Sonnenbräune, die er bei einem derartigen Wetter hätte haben müssen. Seine Haut war ziemlich blaß. Ihr fehlte die gesunde Frische.
Warum?
War er zu lange im Haus gewesen? Hatte er sich nur bei seinem Großvater in der Werkstatt aufgehalten?
Da konnte es zahlreiche Gründe geben, die aber waren für Suko momentan nicht wichtig. Er mußte Kelly unter Kontrolle halten, um zu erfahren, was er vorhatte.
Der Junge verhielt sich wie jedes normale Kind in seinem Alter. Wenn er sich bewegte, dann sprang er mehr, als daß er lief. Er hüpfte an den Vorgärten und Mauern entlang, bevor er sich scharf nach rechts wandte und eine Abkürzung nahm, die dort endete, wo sich das Zentrum des Ortes befand.
Als Suko am Beginn der Gasse stehenblieb und sich unter den Zweigen blühender Kirschbäume hinwegduckte, die über eine hohe Mauer hinwegwuchsen, konnte er jenseits des Gassenendes bereits die Bäckerei erkennen, in der er zusammen mit John das Frühstück eingenommen hatte. Die Sonne schickte ihre Strahlen gegen die Scheibe des Schaufensters und ließ sie aufglänzen wie einen Spiegel.
Erst als der Junge nicht mehr zu sehen war – er hatte sich nach links gewandt – setzte auch Suko seinen Weg fort. Er ging zügig voran, leicht geduckt, weil er mit dem Kopf nicht gegen die Zweige schlagen wollte.
Am Ende der Gasse blieb er stehen.
Ein Lächeln umhuschte seine Lippen, als er das Ziel des Jungen sah. Es war einer dieser fahrenden Händler, die in ihrem Wagen Eis verkauften.
Kelly stand dort zusammen mit zwei anderen Jungen und leckte an einem Rieseneis.
Suko lächelte in sich hinein, als er daran dachte, daß sich so kein Hundertjähriger benahm. Er fragte sich allerdings, wie der Junge darauf gekommen war, so etwas zu sagen. Hatte er sich das nur ausgedacht?
Es war wirklich schwer, so etwas nachzuvollziehen, und Suko wollte sehen, wie er sich weiter verhielt. Hoffentlich lief er nicht zu seinem Haus zurück, das hätte nichts gebracht.
Er hörte einen schrillen Pfiff.
Sofort schaute Suko nach rechts. Dort lag die Bäckerei. Und vor ihrem Schaufenster entdeckte er drei der Männer, die zu den sechs gehört hatten, die ihm überhaupt nicht gefielen. Wem der Pfiff galt, erfuhr Suko nicht, aber die Männer trennten sich und schlenderten betont langsam davon.
Suko drehte sich um. Es geschah aus einem Instinkt heraus, und er hatte recht damit getan.
Die drei anderen standen hinter ihm. Einer hielt in der rechten Hand einen knotigen Knüppel, den er lässig gegen seine linke Handfläche schlug, als wollte er sich durch das dabei entstehende klatschende Geräusch selbst Mut machen. Sein Gesicht zeigte einen wütenden, verbissenen Ausdruck, und er ließ unter dem Hemd die Oberarmmuskeln spielen.
»Da bist du ja noch!« sagte er. »Und diesmal allein.«
Es waren die Worte für seine Kumpane gewesen. Sie schoben sich näher
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