Alptraum-Sommer
zurückschaute.
Hatte er etwas bemerkt?
Suko sah für einen Moment das Gesicht des Jungen. Er hatte es als ziemlich blaß in Erinnerung. In dieser winzigen Zeitspanne aber kam es ihm alt, verschorft, dunkel bis hellbraun vor, wie eine Baumrinde, die jeden Moment abbröckeln konnte.
Danach drehte sich Kelly wieder um und nahm seine Ruderbewegungen auf.
Er wollte an das andere Ufer. Genau dorthin, wo der Wald wie ein feindliches Gebirge stand. Suko ärgerte sich, daß er den Jungen so gut wie verloren hatte, und er hoffte, ein zweites Boot zu finden.
Vergeblich, denn als er die Stelle erreichte, sah er nur das zertretene Gras. Von einem weiteren Boot war nichts zu sehen. Er hockte sich nieder. Der Junge hatte bereits die Flußmitte erreicht und ruderte noch immer kräftig weiter. Die Strömung war an dieser Stelle nicht sehr stark, so wurde Kelly auch kaum abgetrieben, wenn doch, schaffte er es rasch wieder, auf Kurs zu bleiben.
Suko preßte die Lippen zusammen.
Es gab nun zwei Möglichkeiten für ihn.
Entweder, er ließ Kelly fahren, oder er schwamm ihm hinterher, um zu sehen, wie es weiterging.
Suko gehörte zu den Menschen, die immer Nägel mit Köpfen machten.
Es hatte auch keinen Sinn, wenn er jetzt zu John Sinclair zurücklief und ihm von seiner Panne berichtete. Er mußte dranbleiben. Das heißt, durch den Fluß schwimmen.
Hatte er noch vor kurzem auf die Hitze geschimpft, so kam sie ihm jetzt gelegen. Die Hitze der letzten Tage hatte sicherlich auch das Wasser angenehm warm werden lassen.
Suko zog seine Schuhe aus und steckte sie in die Hosentaschen. Die leichte Lederjacke band er sich so über den Kopf, daß sie nicht so schnell naß wurde.
Dann erst schaute er wieder zu Kelly hin.
Der Junge und sein Boot waren nicht mehr als ein verschwommener Fleck auf dem Wasser. Sie erinnerten den Inspektor an eine treibende Insel, die als Ziel die Dunkelheit hatte.
Sie ballte sich besonders dicht am Ufer zusammen, weil die Zweige und starkes Astwerk so weit vorstanden und eben diesen Schutz bildeten.
Deshalb erinnerte ihn das Flußufer an eine Reihe aneinandergelegter Höhleneingänge.
Einige Zweige bewegten sich zitternd, als Kelly und sein Boot darunter verschwanden.
Danach war von beiden nichts mehr zu sehen.
Suko hatte sich die Stelle genau eingeprägt. Er ging einige Schritte vor, spürte den weichen Schlamm unter seinen Füßen und hoffte, daß er in keine Scherbe trat.
Er hatte Glück.
Zudem kippte der Grund sehr bald ab, so daß Suko schwimmen mußte.
Nur sein Kopf schaute aus dem Wasser hervor, als er sich dem anderen Ufer näherte…
***
Kelly duckte sich, als der Kahn gegen das zur Hälfte aus dem Wasser hervorragende Wurzelwerk eines Baumes schrammte und nach Backbord abgedriftet wurde. Die Ruder hatte der Junge bereits eingeholt. Er nutzte jetzt nur den letzten Schwung des Bootes aus, der ihn ans Ufer bringen sollte.
Er griff in seiner geduckten Haltung nach oben, erwischte einen starken Ast und hielt sich daran fest. Das Boot glitt noch weiter, die Sitzbank berührte dabei seine Waden, was einen Stoppeffekt eintreten ließ.
Geschafft.
Ein Tau befand sich ebenfalls im Kahn. Mit einem Ende war es an einem Haken am Bug befestigt.
Kelly nahm das andere Tauende in die Hand und visierte bereits eine bestimmte Stelle zwischen dem hellen Wurzelwerk an. Sie war klein, aber flach und würde ihm einen ausreichenden Halt bieten, wenn er sie beim Springen nicht verfehlte.
Es klappte wunderbar. Er hatte das Tau mitgenommen und knotete das Ende an einem knorrigen Ast fest.
Tief atmete er durch, drehte sich und hockte sich nieder. In dem mächtigen Wurzelwerk und unter dem ebenfalls sehr großen Baum kam er sich klein und winzig vor. Zudem umgab ihn eine bedrückende Stille, die sich mit der hinzukommenden Feuchtigkeit wie ein Anzug um seinen Körper legte.
Der Wald wirkte wie tot, ausgebrannt, aber Kelly wußte, das dem nicht so war.
Man erwartete ihn, er würde bald Freunde treffen, die ihn endlich zu seinem Ziel führten.
Ein Lächeln huschte über seine Lippen, als er daran dachte. Noch einmal schaute er zurück auf den Fluß. Durch das herabhängende Zweigwerk, das zudem durch Spinnweben verklebt war, die im Laufe der Zeit sogar einen grünlich schimmernden Überzug bekommen hatten, sah er nicht viel vom Barrow River. Nicht einmal bis zur Mitte konnte er schauen. Das Wasser war ruhig, und das machte ihn sicher, obwohl er in der letzten Zeit über die beiden Männer nachgedacht hatte,
Weitere Kostenlose Bücher