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Alptraum-Sommer

Alptraum-Sommer

Titel: Alptraum-Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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die seinen Großvater besuchen wollten. Es waren Fremde gewesen, wie auch die anderen drei. Letztere gab es nicht mehr, das jedenfalls hatte ihm der Großvater mit einem feinen wissenden Lächeln auf den Lippen erklärt.
    Kelly ahnte, daß etwas Schlimmes geschehen war, doch er wollte darüber nicht nachdenken.
    Er verließ seinen schmalen Platz und kletterte höher. Es ging ganz einfach, da er sich an den zahlreichen Armen des Wurzelstocks immer gut festhalten konnte. Schon bald hatte er die mächtige Baumwurzel hinter sich gelassen und stand im normalen Wald, wo er sich ebenfalls vorkam wie ein Zwerg, der sich in das Gebiet der Riesen verirrt hatte. So hoch und mächtig kamen ihm die Bäume vor. Es gab nur wenige Lücken, denn die wuchtigen Zeugen der Vergangenheit waren durchweg miteinander verzweigt und verastet. In Bodennähe jedenfalls kam er besser voran, da mußte er sich nur durch das hohe Gras und die fächerförmigen Farne bewegen.
    In dieser Umgebung herrschte eine hohe Luftfeuchtigkeit. Dafür waren die zahlreichen Tümpel und Feuchtgebiete verantwortlich. Das alles nahm Kelly nur am Rande wahr. Er bewegte sich durch den Wald wie in einer Kirche. So vorsichtig, so voller Ehrfurcht. Sein rundes Gesicht wirkte erstarrt, die Augen waren weit geöffnet, und der Blick zeigte ein gewisses Staunen, wie das eines Kindes zu Weihnachten, wenn es Geschenke sieht, mit denen es nicht gerechnet hat.
    Bunte Schmetterlinge durchflogen taumelnd die Luft. Sie flatterten hinein in die schmalen Streifen des Sonnenlichts, das nicht überall seinen Weg fand und so aussah, als bestünde es aus Vorhangstreifen, die jemand am Himmel festgehakt hatte.
    Kelly ging langsam. Er versuchte, sich möglichst geräuschlos zu bewegen. Obwohl noch ein Kind, hatte er trotzdem das Gefühl, wie ein Störenfried zu wirken. Er war jedoch nicht grundlos gekommen. Er wußte genau, daß er in diesem Wald seine Erfüllung finden konnte.
    Er dachte an die Prinzessin. Schon auf dem Fluß hatten sich seine Gedanken um sie gedreht, und wieder huschte ein schon sehnsuchtsvolles Lächeln über sein Gesicht.
    Lange schon hatte er sie gesucht, hatte von ihr geträumt und wußte doch, daß er sie finden würde. Heute, versteckt in diesem Wald, der ihm so groß vorkam.
    Es gab keinen Zweifel, er mußte zu ihr. Erst dann würde sein Glück vollkommen sein.
    Auch seinem Großvater war dies bewußt. Er hatte nichts getan, um den Enkel zurückzuhalten, sondern ein großes Verständnis gezeigt, da er ja wußte, welches Schicksal seinem Liebling beschieden war.
    Das Gesicht glänzte feucht. Kleine Tropfen hatten sich auf der Haut gebildet. Manchmal blieb Kelly stehen und suchte nach dem richtigen Weg. Es gab keine Pfade, nur Hindernisse, wie quer liegende Baumstämme, die von einem mächtigen Sturm gefällt worden waren und nun dalagen wie schlafende Riesen, die ihre mächtigen Arme noch ausgestreckt hatten, bevor sie für immer erstarrten.
    Oft genug kletterte er über die Stämme hinweg, duckte sich auch, weil er von keinem Zweig getroffen werden wollte, glitt über die weiche Erde, suchte immer den besten Weg und sank manchmal ziemlich tief in den weichen Boden ein, besonders nahe der kleinen Tümpel. Über ihre Oberfläche tanzten die Mücken und Fliegen. Vögel huschten und flogen durch den Wirrwarr der Blätter, sangen dabei oder schrien auch. Da nicht alle Sonnenstrahlen den Boden erreichten, entstanden Licht- und Schatteninseln.
    Er blieb vor einem Tümpel stehen. Kein Windhauch kräuselte die glatte Oberfläche. Kelly sah sich selbst. Sein Spiegelbild war nicht mehr als ein langgezogener Schatten. Er zielte auf die Mitte des Tümpels zu, wo der Kopf aussah, als wäre er dann vom Wasser geschluckt worden.
    Die grüne Oberfläche erinnerte ihn an einen geheimnisvollen Spiegel, der bewußt nicht viel zurückgab, als wollte er das meiste für sich behalten.
    Kelly wußte nicht, wie tief der Tümpel war. In seiner Phantasie jedoch malte er sich aus, daß dieses Gewässer den Zugang zu einer anderen, unheimlichen Welt bildete, die jenseits der seinen lag und wo all das wahr wurde, was in den Märchen und Legenden geschrieben stand. Der See ließ ihn träumen und auch an sein eigenes Schicksal denken, das mit dem eines normalen Kindes nicht zu vergleichen war.
    Er war nicht normal.
    Er sah nur so aus.
    Er war alt, sehr alt sogar.
    Hundert Jahre und mehr…
    Kelly wußte es selbst. Er löste sich von diesen Überlegungen und versank wieder in seinen Träumereien,

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