Alptraumland
Knochenbergen begrenzten. Hinter den Knochen ragten aus großen Quadern gehauene Mauern empor; die Decke war niedrig, die uns umgebende Luft kalt. Klamme Feuchtigkeit erfüllte den Gang. Wir befanden uns in einem unterirdischen Gewölbe – mehrere Dutzend in schwarze Kutten mit spitz zulaufende Kapuzen gekleidete Gestalten, unterwegs zu einem Ziel, das ich nicht kannte. Ich vernahm einen sirenenhaften Singsang, der meine Nerven vibrieren ließ. Im Schein brennender Pechfackeln sah ich hinter den Kapuzenschlitzen tückisch funkelnde Augen. Augen von Unmenschen, die Kälte, Grausamkeit, Wollust und Tod ausstrahlten. Obwohl ich einer von ihnen war, kamen sie mir doch so fremd vor wie die Bewohner eines anderen Planeten.
Niemand schien sich zu fragen, wer ich war; man sah wohl in mir einen Gleichgesinnten. Als wir in eine unterirdische Halle gelangten, sah ich viele hundert ähnlich gekleidete Gestalten, die in einer dumpfen, unirdisch klingenden Sprache zu einer infernalischen Musik sangen, die unsichtbare Musikanten spielten. Irgendwo im Hintergrund der Halle ragte ein gewaltiges Gebäude aus Steinquadern in die Höhe. Es sah wie eine Kathedrale aus, und rings um mich her war es schwarz von Vermummten, die langsam und bedächtig vorwärtsschritten.
Ich sah Käfige, in denen schmutzige, bis auf die Knochen abgemagerte Schweine und Menschen hockten. Letztere streckten ihre dürren Ärmchen nach uns aus und bettelten um Wasser und Brot. Peitschen knallten. Die Gefangenen zuckten zurück. Rohes Gelächter drang an meine Ohren. Ich erblickte einen Vermummten, der auf einem borstigen Schwein ritt und es dabei mit einem ellenlangen Messer abschlachtete.
Die Menge spritzte auseinander. Vor uns bahnte sich jemand eine Gasse. Ich hörte Rufe. »Der Meister!«
»Platz für den Meister!«
»Der Meister kommt!«
Die Stimmen sprachen keine mir bekannte Sprache, doch seltsamerweise verstand ich jedes Wort.
Der Meister kam auf mich zu. Er war groß und stark, doch er hatte kein Gesicht, denn dort, wo es sich hätte befinden müssen, war nur ein schwarzer Fleck. Ich spürte, daß sich die Luft in meiner Umgebung mit Elektrizität auflud und verhalten knisterte. Der Meister legte eine schwere Hand auf meine Schulter, und sein kapuzenumhüllter Kopf näherte sich meinem Gesicht. »Ich bin gekommen, um …« Sein Gesicht leuchtete hell auf, doch es zerschmolz, bevor ich es erkennen konnte.
[AMTLICH GETILGT]
Am nächsten Tag – ich hatte nach der langen Reise ein heißes Bad genommen, ein ordentliches Frühstück verzehrt und mich anschließend bei einem Einkaufsbummel in der Innenstadt mit einigen Kleidern versorgt, stattete ich der Northern Bank einen Besuch ab, bei der Onkel Stephen das größte Konto unterhalten hatte. Nach der Vorlage amtlicher Dokumente, die mich als seinen Erben auswiesen, hob ich eine höhere Summe ab, erkundigte mich nach einem Unternehmen, das Fahrzeuge vermietete und versicherte mich eines Wagens mit Chauffeur.
Die Mietkraftfahrzeugunternehmung stellte mir gegen das übliche Entgelt einen gutgepflegten, gediegenen 1919er Bean 11,9 HP mit schwarzer Lackierung zur Verfügung. Als die in Dudley, Grafschaft Worcester, ansässige Firma Harper, Sons & Bean in die Automobilproduktion einstieg, waren ihre Modelle entwicklungsmäßig noch nicht so recht ausgereift. Der Motor lief etwas rauh, die Federung war hart, und der Gangwechsel gestaltete sich häufig schwierig. Wie sich jedoch zeigen sollte, konnte der tüchtige Chauffeur diese Nachteile dank seiner ausgezeichneten Fahrkünste ausgleichen.
Der Chauffeur hieß Perkins. Er sah gesund aus, trug eine dreiviertellange Jacke mit Pelzkragen und eine Schirmmütze. Da er es offenbar gewohnt war, ausschließlich Gentlemen und ihre Ladys zu fahren, zeigte er sich relativ zugeknöpft, so daß ich geraume Zeit brauchte, um während der langen Fahrt zu meinem Landsitz mit ihm ins Gespräch zu kommen.
Als er an meiner Aussprache bemerkte, daß ich aus den Staaten kam, wurde er nicht nur zugänglicher, sondern zeigte, wie die meisten Europäer, großes Interesse an unserem Land. Er fragte mich mit allem Respekt, wie es denn in New York sei, und ich erzählte ihm ein paar Geschichten über das Leben in dieser Stadt, die für meinen Freund Howard einen Moloch verkörperte. Perkins lauschte mir während der Fahrt sehr aufmerksam und erwies sich als guter Zuhörer.
Ashton Manor lag fünfundzwanzig Meilen Luftlinie von Glasgow entfernt, und von dort aus bis zu der
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