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Alptraumland

Alptraumland

Titel: Alptraumland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Ronald M. und Pukallus Hahn
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überspielen.
    Ich erkundigte mich höflich nach seinem Befinden, und er murmelte etwas, das wie ›großartig‹ klang. Sein Gesicht freilich glich einer ziemlich kalkigen Maske. Er entkorkte eine Flasche Whisky und schenkte sich und mir ein. Als er trank, sah ich, daß seine Hand zitterte, und ich fragte mich, ob er sich an diesem Tag den ersten Drink genehmigte. Ich kannte mich aus. Ich hatte in New York selbst zuviel getrunken. Aber sein Blick war klar, und trotz seiner Blässe wies er nicht im geringsten die fahlgraue Haut eines Alkoholikers auf.
    »Ich bin ein bißchen überarbeitet«, sagte er. »Aber wer ist das heutzutage nicht? Ha-ha-ha-har …!«
    Sein Lachen klang gekünstelt, und ich verstand nicht recht, als er etwas vor sich hinnuschelte, das in meinen Ohren wie »Erstaunlich … diese Ähnlichkeit …« klang.
    »Sie kannten meinen Onkel?« fragte ich neugierig, während er fahrig in den Akten kramte.
    »Ich? Äh … Nein, nicht direkt. Nicht persönlich. Ich habe … nur von ihm gehört. Ich kenne nur ein Bild von ihm.«
    Allem Anschein nach war er nicht wild darauf, das Thema Stephen Ashton zu diskutieren, also unterließ ich es, ihm die Fragen zu stellen, die mich interessierten. Robertson erklärte mir in aller Ausführlichkeit, wie sehr es ihn betrübte, daß mich das an meinen Vater gerichtete Schreiben erst nach zwanzig Jahren erreicht hatte. Er bedauerte das Mißgeschick unendlich und versicherte mir, daß man nach der Entdeckung dieses argen Fauxpas eine Sicherheitsmaßnahme in den Arbeitsablauf der Kanzlei eingeschoben hätte, die von nun an verhindern sollte, daß es noch einmal zu einer derartigen Peinlichkeit kommen könnte.
    Je länger ich in der Kanzlei saß, desto weniger konnte ich mich des Eindrucks erwehren, daß Robertson mich nicht mochte. Oberhaupt bemühte er sich merklich, die Angelegenheit so schnell wie möglich zu erledigen, indem er mir meine Übereignungsurkunden und die Verfügungsgewalt über Onkel Stephens Konten übergab – auf denen, wie ich feststellte, beträchtliche Summen lagerten. Obwohl ich noch einen kleinen Vorstoß wagte, konnte ihn nichts dazu bewegen, ein Wort über meinen Onkel zu reden. Er sei ihm völlig unbekannt, erklärte er, und außerdem sei er, als sein Vater angefangen hatte, für Stephen Ashton zu arbeiten, die meiste Zeit in Cambridge gewesen. Nachdem wir die geschäftliche Seite erledigt hatten, bot er mir an, sich in meinem Auftrag – der Landsitz Ashton Manor mußte in den vergangenen zwanzig Jahren sehr herunterbekommen sein –, um die Renovierung zu kümmern. Ich willigte mit der Ankündigung ein, das Anwesen als erstes einmal mit eigenen Augen besichtigen zu wollen.
    »Ihr Vater mochte meinen Onkel wohl nicht sonderlich, nicht wahr?« fragte ich schließlich doch, und zwar ganz plötzlich und unverblümt.
    »Sir!« Robertson tat empört, aber sein Blick machte mir deutlich, daß ich ins Schwarze getroffen hatte. »Mein Vater würde sich – ebenso wie meine Wenigkeit – niemals erlauben, sich eine Meinung über seine Klienten zu bilden.«
    »Erzählen Sie mir von meinen Onkel«, bohrte ich hartnäckig. »Was war er für ein Mensch? Was für Freunde hatte er?«
    »Bedaure, Mr. Ashton«, erwiderte Robertson schroff und schenkte mir einen Blick, der mich geradezu anflehte, ihn mit Fragen zu verschonen, »aber darüber bin ich nicht informiert.« Er warf einen Blick auf seine Taschenuhr. »Leider ist meine Zeit knapp bemessen, Sir. Sollten sich später noch Fragen bezüglich des Erbes ergeben … Ich stehe Ihnen gern zur Verfügung.« Das war ein Hinauswurf. Soviel war mir klar.
    »Wie sie meinen. Ich werde mich wohl irgendwann nach einem Anwalt umsehen müssen, der sich um meine Vermögensverhältnisse kümmert. Können Sie mir jemanden aus dem Kreis Ihrer Kollegen empfehlen?«
    Das saß. Sein blasses Gesicht nahm einen roten Farbton an, und er musterte mich irritiert für zwei, drei Sekunden und brabbelte unverständliches Britisch, das allerdings ziemlich verschreckt klang. Als ich aufstand und ging, wurde ich das Gefühl nicht los, daß er ein Stoßgebet zum Himmel sandte. Die erste Nacht im Hotel bescherte mir einen erneuten Alptraum. Diesmal befand ich mich nicht in der Rolle des Voyeurs, sondern erlebte das blasphemische Geschehen aus nächster Nähe mit. Ich hielt mich inmitten einer Horde schwarz vermummter Gestalten auf, die langsam und stumm durch einen mir endlos erscheinenden Gang schritten, den rechts und links meterhohe

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