Alptraumland
alle die gleiche Meinung. Man bezichtigte ihn schlimmer Verbrechen. Es wurde behauptet, sie würden angeblich nur deswegen nicht von der Obrigkeit geahndet, weil er ein reicher Mann sei und großen Einfluß habe. Man neigte allgemein zu der Ansicht, er käme nur deshalb nie vor Gericht, weil er es mit Hilfe seines Namens und seiner Position verstehe, die Behörden für sich einzunehmen.
THORNHILL: Das stinkt ja förmlich nach Klassenkampf!
STORM: Sir …?
THORNHILL: Miss Storni, ist Ihnen der Name Karl Marx ein Begriff?
STORM: Nein … Sir.
THORNHILL: Hatten Sie den Eindruck, daß sich die Personen, die sich nachteilig über Mr. Ashton äußerten, Sozialisten waren?
STORM: Sotzallisten, Sir?
THORNHILL: Oder Bolschewiken?
STORM: Sir, ich weiß nicht, was diese Wörter bedeuten, Mr. Thornhill.
THORNHILL: Hat Mr. Stephen Ashtons Ruf bei Ihnen keine Bedenken dagegen erweckt, in die Dienste seines Neffen zu treten?
STORM: Nein, Sir. Mr. Roderick Ashton hat sich bei unserer ersten Begegnung sehr ritterlich verhalten. Und genauso später. Und weil ich der Meinung war, daß man einen Menschen nicht nach den Gerüchten beurteilen sollte, die andere über seinen Onkel in die Welt setzen …
AUS DEM TAGEBUCH DES RODERICK ASHTON
Der Architekt McGilligan erwies sich als Meister seines Fachs. Ein paar Tage, nachdem Perkins, die Storm-Geschwister und ich ein Dutzend Räume soweit gereinigt hatten, daß man sie halbwegs bewohnen konnte, tauchte er wieder auf. Mit ihm kamen mehrere Lastwagen voller Werkzeug und ein Dutzend Bauarbeiter aus Glasgow, die sich freuten, der Stadt für eine Weile entfliehen und an der frischen Luft arbeiten zu können.
Keiner der Männer kannte die Geschichte von Ashton Manor, und keiner interessierte sich dafür, was mich ungemein beruhigte. Nachdem sie eine Woche damit verbracht hatten, die Hausfassaden zu sanieren, das stellenweise schadhafte Dach zu flicken und diverse hölzerne Anbauten niederzureißen, ließ Ashton Manor sich kaum noch wiedererkennen.
Das Haus erstrahlte in seinem altem Glanz, die Fenster waren geputzt, Maler strichen die hölzernen Fensterrahmen, und der Garten, den die Storms sich vorgenommen hatten, sah inzwischen nicht mehr nach Dschungel, sondern nach Zivilisation aus.
»Wie steht’s denn im Keller?« fragte McGilligan am zehnten Tag, als wir seine Zeichnungen durchgingen. »Da sind wir bei der Begehung gar nicht mehr hingelangt. Ist die Decke noch fest und auch sonst alles in Ordnung?«
Bei seinen Worten durchfuhr mich ein heißer Schreck. Ich hatte das Skelett in den letzten, äußerst arbeitsamen Tagen völlig vergessen! Zwar hatte ich mir in mancher Nacht, wenn ich nicht sofort im Schlaf versunken war, mehrmals vorgenommen, es heimlich fortzuschaffen und irgendwo zu vergraben, aber noch hatte sich mir keine Gelegenheit dazu geboten.
»Ja … ja …« haspelte ich nervös hervor. »Ist alles gut erhalten. Solide Bausubstanz. Können wir uns später irgendwann mal genauer ansehen.« Glücklicherweise hatte McGilligan an diesem Tag ohnehin keine Zeit, um einen Abstecher in das Kellergewölbe zu machen. Andere, dringendere Termine zwangen ihn zum Verlassen des Anwesens.
Als die Arbeiter am nächsten Tag, nach dem Mittagessen, ihr Gepäck verstauten, um die Heimreise fürs Wochenende anzutreten, kam einer der Maurer zu mir, ein riesiger Kerl mit einem feuerroten Schnauzbart und großen gelben Zähnen.
»Schaunse mal, Sir«, sagte er, während er an einem Stück Brot kaute und mir eine Zeichnung auf den Tisch knallte. »Der Teufel soll mir holen, wenn’s in dem Haus hier keen Geheimgang oder ’n Geheimzimmer nich gibt.« Mir fiel bei seinen Worten beinahe die Zigarette aus dem Mund, aber er bemerkte nichts. »Ach, diese alten Häuser«, schwärmte er und schaute sich um. »Wie geheimnüsvoll sie sind …! Ich wette, die alten Fürschten haben früher alle ihr kleenet Geheimnüs gehabt. Wahrscheinlich, damit die Fürschtinnen ihnen nich auffe Schliche kamen.«
»Vielen Dank für den Hinweis«, antwortete ich betroffen.
Er zwinkerte mir verschwörerisch zu und ging hinaus. Ich nahm die Zeichnung hastig an mich und betrachtete sie. Wenig später hörte ich das Motorengebrumm der Laster. Die Wagenkolonne machte sich auf den Heimweg.
Der Mann hatte in der Tat recht – beim genauen Studium des Hausgrundrisses sah ich es selbst. Die Zeichnung war uralt und hatte bei Robertsons Akten gelegen. Sie war die einzige, die ich nie gesehen hatte. Die Skizzen, die
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