Alptraumland
Fundes müßte eine Untersuchung nach sich ziehen. Die Presse bekäme Wind von der Sache. Ashton Manor und ich würden in die Schlagzeilen der Revolverblätter geraten. Daran konnte mir nicht gelegen sein. Und außerdem weilte der mutmaßliche Mörder Janet Kirks längst nicht mehr unter den Lebenden.
Ich wollte die sterblichen Überreste Janets irgendwo im Keller verscharren. Doch dies erwies sich als schwierig, denn zwischen den Fundamenten Ashton Manors bestanden die Fußböden aus solidem Gestein. Also gab ich den Plan auf und versteckte die Knochen und den Schädel in einer eisenbeschlagenen Truhe unter alten Lumpen, die ich in einem anderen Kellerraum fand. Danach entfernte ich die Ketten aus der Mauer, damit das Personal nicht doch noch Gefahr lief, den Gerüchten über Onkel Stephen Glauben zu schenken.
Als ich in den Gewölben herumkramte, entdeckte ich mehrere, bis zur Decke mit altem Plunder vollgestopfte Räumlichkeiten. Sie verströmten einen entsetzlichen Gestank. In einem Raum fand ich ein Album mit vergilbten Fotos, das auch viele Zeitungsausschnitte über Ashton Manor enthielt. Ich brachte den Fund in den Raum, den ich mir als Arbeitszimmer auserkoren hatte, und schaute ihn durch. Der erste Artikel stammte aus dem Jahre 1900 und meldete kurz, der Ashton-Landsitz, der seit 1822 im Besitz der mit den Ashtons vervetterten Familie McCormick gewesen war, gehöre wieder einem Ashton. Der letzte Hausherr war ein gewisser Lord Barlow gewesen, ein Verwandter sowohl der Ashtons wie auch der McCormicks; er hatte Lady Margot geehelicht, die letzte McCormick-Tochter.
Der zweite Ausschnitt, er stammte aus demselben Jahr, war aber acht Monate später erschienen, befaßte sich ausgiebiger mit den Ashtons. Ich erfuhr, daß der Stammbaum unserer Familie nachweisbar bis ins 9. Jahrhundert zurückreichte. Ein irischer Edelmann namens Shawn O’Taggarty hatte das Lehen Ashton als Auszeichnung für überragende Tapferkeit bei der Abwehr eines Wikingerüberfalls erhalten, doch nur selten benutzt. Im 13. Jahrhundert – die O’Taggartys hatten Ashton wohl nur als Ausflugsziel verwendet – war das Lehen einem blutjungen Junker zugefallen, der es zu seinem Wohnsitz gemacht hatte. Noch lange nach der Ausbreitung des Christentums kursierten Gerüchte, die O’Taggartys hielten weiterhin an ihrem heidnischen Unglauben fest.
Der nächste Artikel, der aus dem Jahre 1910 stammte, behandelte das rätselhafte Verschwinden der Bauerntochter Janet Kirk. Mein Blick huschte wie gebannt über das vergilbte Papier. Laut Aussage eines Landarbeiters war Janet in die Kutsche eines Unbekannten gestiegen, als sie von der Feldarbeit kam und sich auf dem Heimweg befand. Der Landarbeiter wollte beobachtet haben, daß sie über das Angebot des Gentleman, den er im übrigen nicht erkannt hatte, sehr geschmeichelt gewesen sei. Seither fehlte jede Spur von ihr. Zu dem Artikel gehörte auch ein Foto der Vermißten: Janet war damals ein blondes, junges Ding in zerschlissenen Kleidern gewesen, kaum zwanzig Jahre alt, abgelichtet bei der Heuernte. Der nächste Ausschnitt stammte aus dem Jahr 1912 und verurteilte in scharfer Form die völlig unbegründeten Verdächtigungen, die man in der Umgebung der Ortschaften Skelmerhe und Largs gegen den Gentleman Mr. Stephen Ashton erhob. Onkel Stephen wurde mit der Aussage zitiert, er sei es nun allmählich leid, diese Geschichte zu hören und werde jeden verklagen, der es wagte, sie weiterhin in Umlauf zu bringen.
Die Ursache für diese lächerlichen und völlig haltlosen Verdächtigungen, die nicht einmal die Polizei glaube, so Onkel Stephen, lägen klar auf der Hand: die heidnischen Ahnen der Familie Ashton, das abgelegene Anwesen, das er bewohne, die Einsamkeit der Umgebung – all dies rege die Phantasie einfältiger Menschen an und verleite sie dazu, den ›Fremden‹, den ›Eindringling‹, der wüstesten Ausschweifungen zu verdächtigen, denen sich die Biedermänner der dörflichen Gemeinden wohl insgeheim gerne selbst hingegeben hätten. Hinzu kam noch, so der Verfasser des Artikels, daß Mr. Ashton ein wohlhabender und begehrter Junggeselle war, der nur allzu oft den Neid weniger begüterter Schichten heraufbeschwor.
In den folgenden Zeitungsausschnitten fand ich nichts, was mit Ashton Manor oder Onkel Stephen zu tun hatte, wenn sie auch kaum weniger mysteriöse Themen behandelten: Da ging es zum Beispiel um den Fund eines männlichen Leichnams, dem mit Hilfe eines Brandzeichens ein umgedrehtes
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