Alptraumland
arbeiten.
Marjories Gesicht verdüsterte sich zwar, als sie den Namen hörte, doch Keith, ein kräftiger, dunkelhaariger Bursche mit schwarzen Augen und gesunden Zähnen, lachte nur. »Ich bitte dich, Schwesterchen«, meinte er, »wer glaubt denn heutzutage noch an solche Schauermärchen?«
»Ja wirklich, die Leute in dieser Gegend reden gar viel zuviel dummes Zeug«, stimmte ihm daraufhin Dorothy zu. »Und wir könnten das Geld wirklich brauchen.«
Dann kicherte sie schelmisch. »Außerdem gehört zu jedem schottischen Landhaus, das etwas auf sich hält, mindestens ein Gespenst.«
Keith lachte fröhlich.
Auch Marjories Miene hellte sich ein wenig auf.
Um die Atmosphäre zu entkrampfen, erzählte ich den dreien, daß Perkins und ich schon seit einer Woche auf Ashton Manor lebten, ohne dem »Hausgeist« begegnet zu sein.
»Natürlich habe auch ich gehört«, fuhr ich fort, »daß sich allerlei Geheimnisse um Ashton Manor ranken. Aber daß dort Gespenster hausen, müßte mir doch inzwischen aufgefallen sein. Ich weiß erst seit wenigen Tagen, daß das Haus meiner Familie schon vor Jahrhunderten gehört und man meinen Onkel Stephen vor über einem Jahrzehnt als Mörder verdächtigt hat. Weniger verstehe ich allerdings, wie diese Greuelgeschichten heute noch einen solchen Haß gegen unsere Familie auslösen können.«
»Ich kenne diese Geschichten von Großvater«, sagte Keith lachend. »Mr. Ashton – Ihr Onkel, Sir – soll es wohl eifrig mit den Damen gehabt haben, was ihm viele Neider eingebracht hat. Und was die anderen Geschichten über die Ashtons anbetrifft … Ich glaube, die haben sich irgendwelche Mummelgreise am Kamin ausgedacht.«
»Weißt du mehr darüber?« fragte ich interessiert.
»Nicht sehr viel«, erwiderte Keith mit beinahe entschuldigend wirkender Miene. »Im dreizehnten Jahrhundert sollen die Ashtons Angehörige eines heidnischen Kultes gewesen sein, der sich seine Opfer in der Gegend um Skelmerhe und Largs gesucht hat. Ashton Manor hatte damals natürlich nicht die heutige Gestalt. Nach allem, was ich von Großvater weiß, soll auf dem Besitz früher eine finstere Zwingburg gestanden haben. Angeblich hat man in den Gewölben der Festung schauderhafte, abartige Orgien veranstaltet – sogar mit Menschenopfern, hieß es.« Keith schüttelte sich aus wohligem Gruseln.
»Keith, ich bitte dich«, rief Marjorie ernst.
Auch mir schauderte es ein wenig, aber allmählich fing die Sache an, mir Spaß zu machen. »Weiter, weiter!« ermunterte ich Keith.
»Au ja«, stimmte mir Dorothy zu.
Keith grinste Marjorie gespielt boshaft an. »Die Bauern hier erzählen sich diese Geschichten seit Jahrhunderten«, sagte er. »Selbst wenn ein Körnchen Wahrheit daran wäre, müßten sie im Laufe der vergangenen siebenhundert Jahre bis zur Unkenntlichkeit entstellt worden sein.« Mir fiel wieder das Skelett im Keller ein.
»Hat man die Lage der alten Zwingburg je bestimmen können? Sind in der Vergangenheit keine Funde gemacht worden, die darauf hindeuten, daß die Überlieferungen doch einen wahren Kern enthalten?«
»Das ist es ja eben …« Keith schüttete sich aus vor Lachen. »Es gibt nicht die geringste Spur eines Beweises. Es sollen sich sogar ein paar Wissenschaftler auf Ashton Manor herumgetrieben haben, die versuchen wollten, den versunkenen Gewölben der Feste auf die Spur zu kommen. Stephen Ashton hatte sie seinerzeit selbst engagiert. Das weiß ich von Großvater.« Wir einigten uns schnell.
Ich engagierte die Storm-Geschwister, und nachdem sie ihre Siebensachen gepackt hatten und ich Perkins mit dem Wagen zu ihrem Häuschen gelotst hatte, brachen wir zusammen nach Ashton Manor auf.
5. Kapitel
Aus dem Schriftwechsel H.P. Lovecrafts
mit Frank Belknap Long
Glasgow, 15. August 1923
Lieber Frank,
heute sende ich Dir vor der Weiterreise ins Innere der schottischen Wildnis schnell nur einige wenige Zeilen. Nach der Ankunft in Glasgow – auch dies ein greulicher Moloch des Industriezeitalters –, stand ich zunächst etwas ratlos da und hatte mit einem Mal den spontanen Einfall, in die Stadtbibliothek zu gehen und in den heimatkundlichen Werken zu stöbern. Ich wollte nach Möglichkeit etwas über Ashton Manor, über Gegend und Geschichte sowie das Geschlecht der Ashtons in Erfahrung bringen. Da keine Geschichte ohne Wirren abläuft, sind solche Aufzeichnungen naturgemäß nur unvollständig vorhanden. Auf geradeso lückenhaftes Material stieß ich auch in diesem Fall. Dennoch
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