Alptraumland
machen. Howard hatte jede Menge Marotten und Schrullen; deshalb und dank seiner starren Meinungen fand er sich in der Welt – soll heißen, unter anderen Menschen – nur schwer zurecht. Um so höher mußte der Freundschaftsdienst bewertet werden, daß er sich aus seinem Schneckenhaus in Providence zu mir nach Schottland getraut hatte.
»Mann, was mir mit diesem Erbe eingebrockt worden ist, habe ich wirklich nicht im entferntesten voraussehen können«, meinte ich zu ihm, indem sich mir ein Aufseufzen entrang. »Nacht für Nacht rauben mir Alpträume den Schlaf.«
»Wegen der Restaurierung?« fragte Howard höflich und schaufelte sich sieben Löffel Zucker in die Kaffeetasse. »Oder weil in diesem Landstrich so wenig Gentlemen wohnhaft sind?«
Ich quälte mir ein Auflachen ab. Klang es irr? Howard blickte mir kaltblütig ins Gesicht, als geschähe nichts ungewöhnliches, also blieb die Frage ungeklärt.
»Eher aus letzterem Grund«, antwortete ich mit einem gezwungenen Feixen der Ironie. Das Geklingel des Kaffeelöffels, mit dem Howard in der Tasse rührte, machte mich nervös; es erinnerte mich an den Klingklang von Ketten und das Klirren von Folterwerkzeugen.
Ich erzählte ihm von den Zusammenstößen, die ich in den benachbarten Ortschaften mit Einheimischen gehabt, den Problemen, die ich bei der Anwerbung von Personal erlebt, und den verschiedentlichen feindseligen Handlungen, die man gegen mich verübt hatte. Howard hörte mir zu, als ob nichts davon ihn überraschte. Er trank mehrere Tassen Kaffee und füllte in jede wenigstens eine halbes Dutzend Löffel Zucker; Plätzchen, Teekuchen und Butterhörnchen dagegen ließ er unbeachtet liegen. Er sprach kein Wort. Auf einmal empfand ich seine Ruhe geradezu als gespenstisch. Ich verspürte eine unklare Verärgerung, ließ es mir aber nicht anmerken; allerdings hielt ich nun hartnäckig den Mund, um ihm endlich eine Stellungnahme zu entlocken, und mümmelte nur Teekuchen.
»Fast könnte man sagen«, meinte er schließlich halblaut, indem er geringfügig die Mundwinkel verzog und mit einer gezierten Gebärde die Kaffeetasse absetzte, »du hast hier in ein Wespennest gestochen. Man weiß ja, daß Wespen dadurch sehr gereizt werden.«
Diese Bemerkung verschlug mir vollends die Sprache. Sollte das etwa heißen, ich hätte das Gesindel im Umland Ashton Manors irgendwie provoziert? Ich hatte nichts dergleichen getan! Das Gegenteil war der Fall. Ich hatte die geerbte Ruine restaurieren und wieder bewohnbar machen, innen und außen wiederherrichten lassen, auf meine Kosten die bauliche Substanz des hiesigen Gebietes bereichert. Der in Largs ansässige Landschafts-Verschönerungsverein hätte mir die Füße küssen müssen.
Howard hatte immer einen reichlich morbiden Humor gehabt – eine Art von Galgenhumor, da er, obwohl er die meisten unserer Kollegen stilistisch weit in den Schatten stellte, die meiste Zeit am Hungertuch nagte. Als Gentleman war ihm nämlich nichts mehr zuwider, als des schnöden Mammons wegen schreiben zu sollen. Howard betrachtete seine unheimlichen Erzählungen als Zeitvertreib, wie sie einem Gentleman würdig anstand. Die meisten Geschichten, die er geschrieben hatte, waren in obskuren Amateurzeitschriften abgedruckt worden, weil diese ihm Gewähr boten, daß man an seinen Texten kein Wort veränderte. Howard war der typische Vertreter jener Spezies von Künstlern, die ihre Kunst um der Kunst willen betrieben. Was also sollte seine Äußerung besagen?
Konnte es sein, daß er längst mehr Wissen über mich und meine Altvorderen hatte, als mir selbst an Erkenntnissen vorlag? Völlig auszuschließen war es nicht. Wer ahnte schon, zu welchen Archiven er Zugang, welche Informationsquellen ein Mann hatte, der eine derartig umfangreiche Korrespondenz betrieb? Oder war mein Schicksal ihm in Wirklichkeit völlig gleichgültig, hatte er meine Einladung nur angenommen, um seinen gluckenhaften Tanten entrinnen und über den Teich nach England reisen zu können, das er auf so unzeitgemäße Weise vergötterte? Plötzlich wußte ich nicht mehr, wie ich mich verhalten sollte. Tiefes Mißtrauen verschloß mir den Mund. Ich plapperte nur noch Belangloses daher und vertagte alles weitere bis zum Abendessen. Angesichts der unübersehbaren, von der Reise verursachten Müdigkeit Howards wies ich die beiden Storm-Schwestern an, heute zu früherer Uhrzeit als sonst aufzutischen.
Allerdings hätten sich Marjorie und Dorothy, was Howard und mich anbelangte, das
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