Alptraumland
Es reichte mir vorerst. Dann fand ich beim Blättern zu meinem Schrecken eine Stelle, die einen vermummten Schweinehirten erwähnte. Mir stockte mir der Atem.
»Der vermummte Schweinehirt, der seine Herde mit dem Knüppel durch die Zonen unserer Träume treibt«, las ich, »symbolisiert geistige Kräfte, die aus der Vergangenheit in die Gegenwart übergreifen und den Menschen in ihren Bann schlagen. Der Schweinehirt ist der Katalysator. Es ist seine Aufgabe, den Delinquenten für Botschaften aufnahmebereit zu machen, die ihn seine wahre Bestimmung erkennen lassen.« Das saß. Ich zitterte plötzlich am ganzen Leibe. Einen Schweinehirten hatte ich in meinen Träumen gesehen! Aber was sollte die merkwürdige Deutung? Wer oder was waren die ›geistigen Kräfte der Vergangenheit‹?
Irrsinn. Ich schüttelte den Kopf und bestellte einen Whisky. Wer war schon T.M. Rhys-Davies? Hatte die Welt schon von ihm gehört? Howard und ich waren aufgrund unserer Arbeit für die Horrorblättchen in den Staaten gelegentlich von Gruppierungen eingeladen worden, die das Zeug, das wir schrieben, mit Genuß goutierten. In diesen Kreisen hatten wir Massen junger Menschen kennengelernt, die den absonderlichsten Theorien anhingen. Howard hatte einst gesagt, es gäbe keine Ausgeburt kranker Phantasie, die nicht wenigstens ein paar hundert Anhänger fände – ein Beweis dafür seien schon die zahllosen sich religiös gebärdenden Sekten, die bei uns zu Hause florierten, alles Unternehmen, die zu keinem anderen Zweck gegründet worden waren, um ihre Anhänger auszunehmen. Bestimmt waren im esoterischen Milieu Dutzende von Standardtraumthemen bekannt, und nun hatte sich ein gewitzter Bursche hingesetzt – Mr. T.M. Rhys-Davies – und eine Fibel verfaßt, um von dem in seinen Kreisen herrschenden Interesse an Träumen zu profitieren.
Auch ich hatte mich früher mit meinen Freunden über meine und ihre Träume verbal ausgetauscht. Manche wiederholten sich im Laufe der Jahre, hatten wir festgestellt, andere Träume wiederum schien jeder Mensch zu haben – zum Beispiel den von den Zähnen, die einem grundlos ausfallen, oder den von der Gestalt, die den Träumenden verfolgt, ohne daß man von der Stelle kommt. Aber der Traum vom Schweinehirten … Bald merkte ich, daß ich drauf und dran war, mich zu belügen. Meine Gedanken schweiften immer wieder zu der seltsamen Gestalt zurück. Schließlich gab ich den inneren Widerstand auf und beschloß, die in dem Buch angeführte Erklärung ernstzunehmen. Ich kehrte zur Buchhandlung um und fragte den Händler, wo ich den Autor des Buches kennenlernen könnte. Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse, von der ich nicht wußte, ob sie Geringschätzung oder Wollust zeigte.
»Hat das Buch Sie beeindruckt, Sir?«
»Es hat mich inspiriert«, erwiderte ich. »Ich würde dem Autor gern schreiben, aber das Buch enthält bedauerlicherweise keine Verlagsangabe.«
»Es ist ein Privatdruck«, wurde ich aufgeklärt. »Die sogenannten seriösen Verlage, Sir« – sein Gesicht drückte nun offene Wut aus – »haben nämlich keinerlei Interesse daran, die Wahrheiten des Lebens zu veröffentlichen …«
Das kam mir bekannt vor. Ich hatte im Laufe meiner Karriere Dutzende von schriftstellernden Dilettanten kennengelernt, die unter dem Zwang standen, den Rest der Welt an ihrem Innenleben teilhaben zu lassen. Die weniger Gemeingefährlichen warfen meist schnell die Feder hin, sobald die ersten Ablehnungsbescheide bei ihnen eintrudelten; die gefährlicheren Graphomanen verpfändeten gelegentlich Haus und Hof, um den Ausfluß ihrer geistigen Selbstbefriedigung auf eigene Kosten zu drucken und vertreiben.
»Sie sind der Autor, nicht wahr?« fragte ich. »Sie sind T.M. Rhys-Davies.«
»Ich kann es nicht verhehlen, Sir«, sagte der Buchhändler mit einem gewissen Stolz. »T.M. Rhys-Davies ist mein Pseudonym. Ich heiße Morgan. Philip Morgan.«
Er hielt mir die Hand hin. Ich schüttelte sie, und sie war so kalt, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Morgan hieß mich, Platz zu nehmen. Ich setzte mich hin und preßte das Buch, das in meinen Händen irgendwie zu glühen schien, fest an meine Brust.
»Mein Name tut nichts zur Sache, Mr. Morgan«, begann ich. »Ich brauche nur einige Informationen. Informationen über die Quellen, aus denen Sie geschöpft haben.« Ich sah ihn genau an. »Woher wissen Sie das alles?«
Er zuckte die Achseln. »Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde«, sagte er wie ein Schmierenkomödiant,
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