Alptraumland
Kochen sparen können. Ich hatte kaum Appetit und verschlang lediglich das halbrohe Roastbeef der Vorspeise und danach das blutige Steak. Ohnehin war mir schon seit geraumer Weile zumute, als wüchse, vielleicht bedingt durch das schottische Klima, mein Eiweißbedarf; ich hatte, wenn ich überhaupt Hunger verspürte, zumeist Heißhunger auf Fleisch, möglichst blutiges Fleisch. Howard ließ das Essen abkühlen und verzehrte zum Schluß ein paar kalte Kartoffeln. Das als Dessert aufgetragene Vanilleeis dagegen futterte er restlos weg und schabte am Ende, als wollte er selbst den winzigsten Rest verputzen, noch so lange im Kristallglasschälchen herum, daß er mich mit dem Gekratze wieder nervös machte. Ich ließ ihm von Dorothy Eis nachreichen, und er nahm es zwar leicht verlegen, aber ohne Widerrede an, aß es ebenfalls so gründlich auf, wie es ging, ohne die Schale auszulecken.
Selbstverständlich konnte Howard nicht übersehen, daß ich für jemanden, daß ihn eigens aus den Vereinigten Staaten hatte kommen lassen, um ihn um Beistand zu bitten, auffälligerweise nur unwichtiges Zeug daherschwafelte: über den Aufwand der Restaurierung und Renovierung, die Handwerkerlöhne, das Auto, das Wetter, und so weiter. Howard sah mich an. »Interessant«, sagte er, indem sein Lächeln einen süffisanten Ausdruck annahm. »Und in welchem Zusammenhang steht das alles mit dem Fall Barlow?« Dem Fall Barlow? Ich stierte ihm ins Gesicht. Wieso sprach er jetzt vom Fall Barlow? Hatte ich etwas vom Fall Barlow gesagt? Unwillkürlich schüttelte ich den Kopf.
»Wie meinst du das?«
»Ich bin bei Antritt der Reise davon ausgegangen, daß ein Zusammenhang mit diesem Fall besteht.« Howards Pokerface gab seine Gedanken nicht preis. »Du hast ihn doch in deinem Telegramm erwähnt.«
Hatte ich das? Entgeistert starrte ich an Howard vorbei ins Leere. Ich erinnerte mich nicht. Konnte ich so leichtfertig gewesen sein? Mit einem Mal hatte ich das Gefühl, mir selbst eine Grube gegraben zu haben, eine Grube, in die ganz Ashton Manor paßte. »So? Erwähnt hab’ ich ihn? Hehehe!«
»Roderick«, sagte Howard, indem er maniriert die Hände auf der Tischkante faltete, »du solltest dir darüber im klaren sein, daß du mich ohne Sorge in alles, was dir Kummer bereitet, einweihen kannst. Ich werde dir als Freund zur Seite stehen. Du darfst mir vertrauen. Ich bin es gewohnt, selbst die ungewöhnlichsten Vorfälle mit stahlkalter Intellektualität zu betrachten.«
»Ich vertraue dir, Howard«, beteuerte ich. »Hehehe! Ich vertraue darauf, daß du alles so machst, wie du’s für richtig hältst, hehehe!«
Howard rümpfte nachsichtig die Nase. »Je ernster die Schwierigkeiten sind, die man überwinden muß, um so fester sollte man auf wahre Freunde bauen, Roderick. Wenn du dich mit ähnlichen Vorgängen wie im Fall Barlow auseinanderzusetzen hast, könnten wir die Angelegenheit durchaus ganz nüchtern diskutieren – sozusagen aus rein wissenschaftlicher Warte – und darüber reden, was sich tun läßt, um dir Abhilfe zu verschaffen.«
Unvermutet hatte ich von Howard die Nase voll. Ihn herzubestellen, war ein Fehler gewesen. Jetzt empfand ich seine gestelzten Freundschaftsbeteuerungen als aufdringliche Anbiederung, die betulichen Gesten, mit denen er sie begleitete, und seine gespreizte Ausdrucksweise – um die ich ihn früher beneidet hatte – unversehens als affig, seine Bildungsbeflissenheit als unerträgliche Klugscheißerei. Sein Verhältnis zum Speiseeis stufte ich als reichlich kindisch ein. Aber was soll man denn schon von einem Mann erwarten, der auf Wunsch seiner Mutter, wie er mir selbst erzählt hatte, bis zum sechsten Lebensjahr in Mädchenkleidern umherlaufen mußte? Da wundert es nicht, wenn er, obwohl er von Haus aus kaum einen Penny hat, überall herumlungert, wo er nur irgendwie etwas Abartiges wittert. Am liebsten hätte ich ihn ins Ohrfeigengesicht geschlagen. Ich beugte mich vor, merkte zu spät, daß ich die Manschetten meines Oberhemds in die lauen Essenreste drückte. Mir zitterten die Hände.
»Du mußt nicht jede Kleinigkeit so ernst nehmen, Howard«, empfahl ich ihm mit übermenschlicher Selbstbeherrschung. »Ich weiß nicht mehr, was in meinem Telegramm stand. Aber es war bestimmt nichts Wichtiges. Ich glaube, auf was ich dich hinweisen wollte, sind die vielen bemerkenswerten Bücher nebenan in der Hausbibliothek. Sie enthält zahlreiche Werke über Satanismus, Vampire, Werwölfe und … und …« Und
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