Alptraumland
spürte ich die Feuchtigkeit eines sich ausbreitenden Nebels. Sie setzte sich in meiner Kleidung fest, die immer feuchter und schwerer an mir hing. Auch der Nebel beunruhigte mich, denn er hatte schneller eingesetzt, als Nebel es gewöhnlich tun.
Ich stolperte durch die Nacht, keuchte vor mich hin. Schwefelgestank drang in meine Nase. Der Boden fiel merklich ab, auch die Häuser wurden seltener. Ich mußte fortwährend auf der Hut sein, um nicht auszurutschen. Zuweilen glaubte ich, in der Ferne klagende Geräusche zu hören, doch sobald ich lauschte, verstummten sie.
Narrten mich alle meine Sinne? Der Alptraum wirkte derartig wirklichkeitsecht und handfest, wie selbst in meinem wahren Leben kaum etwas. Welch Macht arbeitete daran, mich in den Wahnsinn zu treiben? Was mußte ich noch alles erleiden, bevor ich das Ende meines Irrweges erreichte? Wie unheimlich war es, sich in der immerwährenden Nacht, in der sich nicht das geringste Leben regte, blindlings vorantasten zu müssen, ohne die Gefahr zu sehen, die mir zweifellos auflauerte …! Wie lange ich die Einöde durchwanderte, kann ich nicht beurteilen. Mir ging jeglicher Zeitsinn verloren. Es kann sein, daß ich gelegentlich im Kreise lief, doch dann sah ich vor mir endlich ein Stück des nächtlichen Himmels.
Ich befand mich allen Anschein nach auf dem Grund einer riesigen Schlucht. Ich rannte wieder los, in die Richtung, wo das Sternenlicht die Landschaft am hellsten beschien und die Wolken eine hellere Tönung annahmen. Aber plötzlich trat ich ins Leere. Ich schlug dumpf auf dem Grund der Kluft, die sich vor mir aufgetan hatte.
Ich schrie in maßlosem Entsetzen. In dem fahlen, unwirklichen Licht sah ich eine urweltliche Landschaft des Nichtgeheuren. Ein riesiges Moor zog sich bis zum fernen Horizont dahin. Giftige Nebelschwaden hingen über dem öden Land, dessen morastiger Boden sich in ständiger Bewegung zu befinden schien. Verkohlte Baumstrünke reckten bizarre Äste in die Höhe, während hier und da noch stinkende, brodelnde Dämpfe aufstiegen. Hier konnte kein Leben existieren, und doch glaubte ich, in der primitiven Vegetation schattenhafte Schemen zu entdecken, die hin- und herhuschten, sich hinter totem Gebäum verbargen.
»Hilfe!« krächzte ich und krallte meine Hände in die schlammige Erde. »Zu Hilfe! Helft mir!«
Meine Nackenhaare sträubten sich, als ich sah, daß sich eins der mysteriösen Wesen näherte. Es sah halbwegs menschlich aus, doch sein Kopf schien aus einem zuckenden Bündel zischender Schlangen zu bestehen, die mich aus kalten Augen musterten. Das Wesen verharrte am Rande des Moors und stieß unmenschliche Laute aus. Es unterzog den Untergrund einer Überprüfung und wandte sich wieder zum Gehen. Eine Umkehr war unmöglich. Der Abgrund, in den ich gestürzt war, lag offenbar tiefer als drei Meter unterhalb des umgebenden Geländes, und es gab nirgendwo eine Stelle, an der ich hätte nach oben gelangen können. Diese unbegreifliche Zwischenwelt war so unwirklich und lebensfeindlich, daß ich kaum hoffen konnte, ihr je zu entrinnen. Es folgten Augenblicke, in denen ich mit meinem Leben – zumindest jedoch mit der Hoffnung, je wieder geistig gesunden zu können – gänzlich abschloß. Mich umgab eine Sphäre des Wahnsinns, und ich zweifelte nicht daran, daß die Bücher aus Onkel Stephens Bibliothek der auslösende Faktor gewesen waren, durch den es mich in dies Zwischenreich verschlagen hatte. Ist das Wahnsinn? fragte ich mich. Hatte jeder Mensch, dessen Geist sich verwirrte, blasphemische Halluzinationen dieser Art, durch die er Phantasmagorien nicht mehr von der Wirklichkeit zu unterscheiden vermochte? War eine Rückkehr in mein eigentliches Leben überhaupt noch möglich? Ich konnte nicht verhindern, daß ich vor Grauen haltlos schlotterte. Nur nicht daran denken! Ich mußte vergessen, wo ich mich befand, sonst war es mit mir aus. Auf der ganzen Erde konnte es keinen Ort wie diesen geben, am wenigsten in Schottland. Mein gesamtes Ich sträubte sich dagegen, weiter in diese Übergangszone vorzudringen. Und doch mußte es sein. Wenn es noch einen Hoffnungsschimmer gab, dann am anderen Ende des Moors, wo ich die Ruinen einer halbversunkenen Stadt erspähte.
Der Weg dorthin erwies sich als Martyrium für Körper und Seele. Scheußliche Risse zogen durch die Erde, in deren Schlünden Urschlamm brodelte und abschreckende Dämpfe ausspie. Beklemmung, die mir kalten Schweiß auf die Stirn trieb, ergriff mich, sobald ich an das
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