Alraunes Todeskuß
genommen und es über den oberen Rand des Paravents gehängt.
Es war ruhig geworden. Dann hörte ich das Rascheln der Kleidung, als Maria sich auszog. »Sie können auch das kleine Radio einschalten, wenn Sie wollen, John.«
»Nein danke, es reicht mir.«
»Wie Sie wollen.«
Ich streckte die Beine aus und dachte an die verfluchte Alraune. Wer und was sie war, bereitete mir große Probleme, und ich dachte dabei an ihre Größe. Als kleine Person konnte sie überall Verstecke finden.
Nur hier nicht – oder?
Ich fragte mich, ob ich sie gespürt hätte, weil ich mal davon ausging, daß sie eine magische Strahlung aussandte, auf die möglicherweise mein Kreuz reagierte.
Es war nichts zu spüren, abgesehen von meinem inneren Kribbeln, das aber hatte nichts mit der Alraune zu tun, ich schrieb es meiner eigenen Nervosität zu.
Warten und hoffen, daß sich etwas tat und die Alraune endlich zuschlug.
Da war nichts. Alles lief seinen normalen Gang. Wieder raschelte der Stoff, als Maria das Kleid überstreifte. Dann erschien ihre Hand und schob den Paravent zusammen. Danach kam sie selbst.
Das Kleid war ein Traum.
Sehr weit ausgeschnitten mit einem engen Oberteil, und der Rock fiel wie eine große Glocke nach unten. Sein Saum endete in Höhe der Fußknöchel. Der Stoff selbst war mit zahlreichen Perlen und Stickereien verziert, und erst beim zweiten Hinschauen sah ich die dünnen Stoffe der beiden Unterröcke unter dem Saum hervorblitzen.
»Toll!« lobte ich.
Maria winkte ab. Sie bedankte sich trotzdem. »Hätten Sie mir das zu einer anderen Gelegenheit gesagt, ich hätte mich gefreut. Heute abend kann ich es nicht genießen.«
»Das müssen Sie anders sehen.«
»Vor allen Dingen muß ich mich zurechtmachen.« Sie deutete auf die Haut oberhalb der Brust und unterhalb des Halses. »Das alles ist viel zu hell, ich muß auch noch den Schmuck anlegen. Das wird alles eine Weile dauern und könnte langweilig für Sie werden.«
»Stimmt.«
Maria wunderte sich über meine direkte Antwort. »Wollen Sie nichts dagegen unternehmen?«
»Soll ich Sie allein lassen?«
Die Tänzerin lächelte. »Ich sehe Ihnen doch an, daß Sie wie auf heißen Kohlen sitzen. Mir würde es nicht anders ergehen, glauben Sie mir. Kommen Sie in einer halben Stunde wieder.«
»Gut, dann schließe ich die Tür von außen ab.«
»Wie Sie meinen. Nein, das ist nicht möglich.« Sie korrigierte sich selbst.
»Ich habe keinen Schlüssel.«
»Das ist in diesem Fall nicht gut.«
»Glauben Sie denn, daß die Alraune so groß ist, um die Klinke zu erreichen?«
»Wenn sie springt, schon.«
»Im Gang kann sie sich nicht verstecken. Der ist zu kahl. Es gibt keine Winkel, keine Schattenlöcher. Hinzu kommt das Deckenlicht, das alles ausleuchtet und…«
»Okay, Maria, Sie haben mich überzeugt. Ich werde so schnell wie möglich wieder hier sein. Außerdem müßte Suko bald im Club erscheinen, dann sind wir zu zweit.«
»Und ich kann mich sicher fühlen.«
»Das hoffe ich doch.«
Ihre Augen bekamen einen besonderen Glanz, als sie lächelte und mir eine Kußhand zuwarf. »Bis gleich.« Ich ging.
Ein reines Gewissen hatte ich nicht…
***
Maria Anzaro wartete, bis ihr Beschützer die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann ging sie mit tappenden Schritten zurück, bis sie den Stuhl vor dem Schminktisch erreicht hatte, auf dem sie sich langsam niederließ. Ihr Herz klopfte schon schneller, der Atem floß zischend aus dem halboffenen Mund, und sie spürte auch den Druck hinter der Stirn.
Wenn sie ehrlich gegen sich selbst war, dann hatte sie dem Geisterjäger eine Komödie vorgespielt, denn so gut ging es ihr auch nicht. Aber sie brauchte die Minuten der Ruhe und das Alleinsein, weil sie möglicherweise nur so innerlich mit sich selbst ins reine kommen konnte.
Der Drehstuhl gab unter ihrem Gewicht nach. Sie drehte sich darauf ein wenig nach links, um in den Spiegel schauen zu können. Ihr Gesicht gefiel ihr nicht mehr. Maria hatte den Eindruck, als wäre sie in den letzten Stunden um einige Jahre älter geworden. Der Druck war einfach zu groß gewesen. Zudem hatte er sich noch verstärkt, und es fiel ihr schwer, mit ihm fertig zu werden. Sie konnte ihn nicht kompensieren.
Wer immer auch versuchte, ihr Mut zuzusprechen – besonders John Sinclair – , dem war sie dankbar, aber er schaffte es nicht, sie voll und ganz zu überzeugen.
Hinzu kam noch etwas.
Im Gegensatz zu dem Oberinspektor war sie der Meinung, daß sich die Alraune in ihrer Nähe
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